Acht Millionen Einwegbecher und 5433 Tonnen Verpackungsmüll im Jahr – Plastikabfall ist auch in Kiel ein großes Problem. Der unbedachte Umgang vieler mit Plastik und die fehlende Regulierungen für die Industrie belasten die Umwelt stark. Was muss getan werden, um dieser Plastikflut Herr zu werden? Und warum wird überhaupt so viel Plastik verwendet?
Ein Problem in Zahlen
Haben Sie heute schon Plastikmüll produziert? Haben Sie sich beim Frühstück Käse oder Aufschnitt aus der Plastikpackung aufs Brötchen gelegt? Sich einen Coffee-to-go geholt oder in der Mittagspause einen Müsliriegel aus der Plastikfolie ausgepackt? Wahrscheinlich schon, denn Plastik ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Einer Studie des Fraunhofer Instituts zufolge werden in Deutschland pro Jahr 14,5 Millionen Tonnen Kunststoff verwendet. Das entspricht einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 176 Kilogramm.
Dementsprechend viel Plastikmüll fällt jedes Jahr an: Laut Umweltbundesamt waren es 2017 knapp 6,15 Millionen. Alleine in Kiel landeten 2017 5433 Tonnen Verpackungsmüll, der zu einem Großteil aus Plastik besteht, im Gelben Sack. Das entspricht 21,9 Kilogramm pro Einwohner. Dabei handelt es sich lediglich um Haushaltsmüll. Kunststoffabfall aus der Industrie etwa ist in diese Zahl noch nicht mit eingerechnet.
Wie sorglos Einwegprodukte aus Kunststoff konsumiert und verkauft werden, zeigt eine Pressemitteilung der Rewe Group. Seit Februar 2019 hat die Unternehmensgruppe, zu der Supermärkte wie Rewe, Sky und Penny gehören, Plastikstrohhalme aus dem Sortiment genommen. Bisher gingen jährlich 40 Millionen dieser Trinkhalme über den Ladentisch – alleine bei den Geschäften der Rewe Gruppe.
Bis 2020 soll auch Plastikbesteck und -geschirr folgen. Die bisherigen Verkaufszahlen: 146 Millionen Becher, Teller, Schalen, Messer, Gabeln und Löffel pro Jahr, die meist nach wenigen Minuten in den nächsten Mülleimer entsorgt werden. Ein Jahr später, 2021, werden viele Einwegprodukte aus Plastik dann auch europaweit verboten. Darauf einigte sich das Europäische Parlament am 27. März 2019. Strohhalme, Plastikbesteck und – geschirr dürfen dann nicht mehr verkauft werden.
Ein großer Teil des verwendeten Plastiks findet aber gar nicht erst den Weg in den Gelben Sack. Durch Verwitterung, Abrieb aber auch Littering, also achtloses Wegwerfen, gelangen im Jahr 446 000 Tonnen Kunststoff in die Umwelt, so die Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts. Statistisch gesehen ist jeder Deutsche für 5,4 Kilogramm Kunststoffe in der Umwelt im Jahr verantwortlich.
Doch auch wer seinen Plastikmüll fachgerecht entsorgt, handelt nicht unbedingt umweltfreundlich. Ungefähr 39 Prozent des deutschen Plastikmülls wurden nach Angaben von plasticseurope.org 2016 recycelt, also sortiert, zu Granulat verarbeitet und einer neuen Bestimmung zugeführt. Knapp 61 Prozent wurden zur Energiegewinnung genutzt. Dabei wird der Plastikmüll gemeinsam mit anderen Brennstoffen, z.B. Kohle, in Kraftwerken verbrannt. Weniger als ein Prozent des deutschen Plastikmülls landete auf der Deponie. Dort rottet der Abfall dann vor sich hin.
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Allerdings gilt Abfall auch als verwertet, wenn er in Recyclinganlagen ins Ausland exportiert wird. Einem Bericht des Spiegels zufolge wird Plastikmüll in großen Menge nach Osteuropa oder Asien transportiert. Dort wird der Abfall aber nicht etwa verwertet, sondern lagert auf riesigen Müllhalden.
Dass weltweit jährlich zehn Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer landen, überrascht so kaum. Die Bilder von Meeressäugern, die Plastikteile fressen und verenden oder sich im Abfall verfangen, sind allgegenwärtig. Darunter leiden aber nicht nur exotische Tiere und weit entfernte Strände. Auch die Ostsee ist betroffen. „Die Leute lassen ihren Abfall am Strand liegen und dann weht er ins Meer“, sagt Nicoline Henkel, Umweltberaterin der Stadt Kiel. „Ich erlebe es ganz oft an der Kiellinie, dass Möwen Plastikteile aus dem Wasser holen.“
Das Problem ist die Beständigkeit
Dabei wird eine der wichtigsten Eigenschaften von Plastik, nämlich die Beständigkeit, problematisch. „Kunststoffe haben das Problem, dass sie in der Natur nicht abbaubar sind“, sagt Rainer Adelung, Professor für Materialwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.
Das Plastik würde zwar in der Natur klein gemahlen, sei aber chemisch trotzdem noch robust. Die winzigen Partikel würden dann von Mikroorganismen wie Bakterien und mikroskopischen Algen aufgenommen. Dadurch setze sich das Problem mit dem Mikroplastik entlang der Nahrungskette fort.
Britische Wissenschaftler stellten im Februar 2019 einen möglichen Bezug zwischen der aufgenommenen Menge Plastikpartikel und dem Auftritt von Infektionskrankheiten bei Meeressäugern her. Im Herbst 2018 wiesen Forscher erstmals Mikroplastik in menschlichem Stuhl nach.
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Kunststoff – Ein Material mit Vor- und Nachteilen
Dass Plastik seit den 1950er Jahren zu dem Werkstoff schlechthin wurde, liegt vor allem an seinen vielfältigen Eigenschaften.
„Kunststoff kann man sich so vorstellen, wie einen Teller Spaghetti. Die einzelnen Spaghetti entsprechen den molekularen Strängen, die in dieser Struktur herumliegen“, sagt Rainer Adelung, Professor für Materialwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.
Das Gif zeigt ein Molekül des Kunststoffes Polyethylen. Quelle: Birgit Lachner [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]
„Kunststoff hat dadurch bestimmte Eigenschaften, die andere Materialien nicht haben“, so der Wissenschaftler weiter. Man müsse jeweils abwägen, ob eine Materialeigenschaft ein Vorteil oder ein Nachteil ist. „Das ist immer ein Kompromiss“, so Adelung.
„Man kann nicht sagen, dass Kunststoff gut oder schlecht ist. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht.“ So dauert es beispielsweise sehr lange, bis Kunststoff abgebaut wird. In Bezug auf Plastikmüll ist diese Eigenschaft problematisch, doch in gewissen Kontexten kann man sie sich durchaus zunutze machen. „Das Nicht-Abbauen kann natürlich sehr sinnvoll sein“, sagt Adelung. „Nehmen wir mal das Beispiel Implantatmaterial. Da ist viel aus Kunststoff. In diesem Bereich ist Langlebigkeit von großem Vorteil. Man möchte ja nicht nach zehn Jahren eine neue Hüfte kriegen, weil sich der Werkstoff abbaut.“
Ein weiterer Vorteil sei das geringe Gewicht des Plastiks. Weil es so leicht ist, könnten manche Plastikprodukte insgesamt betrachtet sogar umweltfreundlicher sein als Alternativen, erklärt Adelung. Milchtüten etwa, die von innen mit einer dünnen Plastikschicht bezogen sind, um zu verhindern, dass der Inhalt mit Sauerstoff in Berührung kommt, könnten unter Umständen eine bessere CO2-Bilanz haben, als Milchflaschen aus Glas.
„Wenn der Plastiküberzug in einer Milchtüte aus einem Material ist, das sich gut verbrennen oder recyceln lässt, könnten die Gewichtsvorteile der Milchtüten beim Transport überwiegen“, sagt Adelung. Schließlich ließen sich leichte, rechteckige Packungen besser transportieren als schwerere Glasflaschen.
Plastik ist vor allem eins: billig
Kunststoff ist sowohl resistent, beispielsweise gegenüber Chemikalien, als auch elastisch, etwa durch die Beigabe von Lösungsmitteln. Außerdem lässt sich Kunststoff sehr schnell und mit relativ geringem Energieaufwand in die gewünschte Form geben.
Vor allem ist Plastik aber eins: billig. In riesigen Mengen kann Kunststoff sehr günstig erstellt werden. Für Adelung ist der niedrige Preis der Grund für die Überverpackung – wie er es nennt. „Der günstige Preis bringt Kunststoff auf den Markt, wo man vielleicht gar keinen braucht“, sagt er. „Wir haben jetzt dieses Plastikproblem, weil wir Plastik in gewisser Weise naiv angegangen sind.“
Plastiktüten – Shoppingbegleiter für ein paar Minuten
Ein Produkt, das wie kein anderes für diesen naiven Umgang mit Kunststoff steht, ist die Plastiktüte. Jahrelang gab es bei jedem Einkauf eine Gratis-Tragetasche dazu. Genutzt wurde der Beutel nur wenige Minuten – für den Weg nach Hause. In der Umwelt hält sich eine Plastiktüte dafür umso länger: zehn bis 20 Jahre dauert es, bis sich eine Plastiktüte im Meer zersetzt. Von Meeressäugern, die an Plastiktüten im Magen verenden, liest man immer wieder. „Für diese Tiere ist typischerweise alles Nahrung, was schwimmt“, sagt Materialwissenschaftler Adelung. „Also fressen sie das Plastik und es sammelt sich im Magen an, weil es dort nicht umgebaut wird.“
Mehr als 17 Millionen Plastiktüten gingen 2015 in Kiel jährlich über die Ladentheke, das entspricht 32 Tüten pro Minute. Diese Zahl hat Umweltberaterin Nicoline Henkel ausgerechnet. Sie organisiert Runde Tische, an denen sich Kieler Händler über Nachhaltigkeit austauschen und informiert Bürger. Vor vier Jahren startete die Landeshauptstadt gemeinsam mit Vertretern aus dem Einzelhandel die Initiative „Plastiktütenfreies Kiel“.
Ein Vorreiter auf dem Weg zum Shoppen ohne Plastikbeutel war ein großer Elektrohändler, erinnert sich Henkel. „Die haben vom einen auf den anderen Tag Gebühren für Plastiktüten erhoben“, sagt sie. „Vorher wurden die Plastiktüten einfach mitgenommen, dann stagnierte das total.“ So richtig mitziehen wollten die Kieler Einzelhändler aber trotz des prominenten Vorbilds nicht. Zu groß sei die Angst gewesen, für etwas Geld zu nehmen, was die Konkurrenz kostenlos herausgibt.
„Anfang 2016 ist dann von der EU die Anweisung gekommen, dass für Plastiktüten Gebühren genommen werden müssen. Und dann ging es plötzlich.“ Viele Händler hätten Alternativen angeboten und Kunde eigene Beutel mitgebracht. Mittlerweile hat sich die Menge der Plastiktüten auf etwa die Hälfte reduziert, schätzt Henkel.
Die Stadt Kiel unterstütze die Händler mit einer Marketingkampagne mit dem Slogan „Plastiktütenfrei. Wir sind dabei.“ und warb mit Postkarten und Plakaten in der Bevölkerung für Akzeptanz für die Plastiktütengebühr.
Viele Deutsche befürworten die Plastiktüten-Gebühr
Offenbar mit Erfolg. Denn 72 Prozent der Deutschen befürworten laut einer Statista-Umfrage von 2018 die Plastiktütengebühr, die sich meist zwischen zehn und 30 Cent bewegt. Einmal erworben, werden die Tragetaschen dann auch mehrfach verwendet. Ein Viertel der Deutschen gibt der Umfrage zufolge an, Plastiktüten mehr als zehnmal zu verwenden, 37 Prozent nehmen die Tüten immerhin zwei bis viermal in den Supermarkt mit.
Insgesamt, hat die Plastiktüte einen schweren Stand. Für lediglich 4,5 Prozent ist die im Laden erworbene Plastiktüte das Transportmittel der Wahl, wenn es darum geht, die Einkäufe nach Hause zu tragen. Mitgebrachte Beutel, Taschen und Rucksäcke stehen viel höher im Kurs.
Die Plastiktüte komplett aus dem Programm genommen hat die Supermarktkette Sky. 2016 beschloss die Rewe Group, zu der auch Sky gehört, die Auslistung der Tragetasche aus Plastik, 2017 ging im Sky an der Kieler Gutenbergstraße die letzte Plastiktüte über die Ladentheke.
„Der Plastiktüte, diesem klassischen Symbol der Konsumwelt, machen wir jetzt so langsam den Garaus“, sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer damals.
„Die Plastiktüte wird nicht vermisst“, sagt Patrick Schaller, Marktleiter des Sky-Marktes in der Gutenbergstraße. „Als Ersatz für die Plastiktüten haben wir Papiertüten aus Recyclingpapier in zwei Größen, Jutebeutel und Pappkartons.“ Vor allem bei der studentisch geprägten Kundschaft käme das Aus der Plastiktüte gut an. „Gerade die Kartons werden ordentlich angenommen. Sie sind sehr stabil und bieten viel Platz“, so der Marktleiter weiter. „Ich kann mir gut vorstellen, dass manche Kunden die Kartons auch anders nutzen. Nach Plastik fragt keiner mehr.“
Während sie die Plastikflut an den Kassen durch Gebühren oder die Abschaffung von Plastiktüten für einigermaßen eingedämmt hält, sieht Umweltberaterin Henkel aus Kiel eine weitere Baustelle. „Was noch nicht gelöst ist, ist das Problem mit den Obstbeuteln“, sagt sie. Viele Kunden greifen immer noch zu den dünnen Plastikbeuteln, die auf Rollen im Obst- und Gemüsebereich im Supermarkt angeboten werden. Schnell die losen Tomaten in den Beutel und zuknoten. Zu Hause wird die Tüte dann aufgerissen und kommt in den Müll. Umweltfreundlich ist das nicht. Dabei gibt es Alternativen, sagt Henkel. Zum Beispiel die mehrfach verwendbaren Einkaufsnetze der österreichischen Firma Again and a-gain.
Nach der Umstellung auf Rewe soll es auch im Sky-Markt von Patrick Schaller Mehrwegnetze aus Polyester geben.
Auch Papiertüten sind problematisch
Für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hingegen stellt die Umstellung von Plastik- auf Papiertüten keine große Verbesserung dar. „Einwegpapiertüten, auch solche aus Recyclingmaterial, sind keine ökologische Alternative zur Plastiktüte. Recyclingpapiertüten haben eine etwas bessere Ökobilanz als Tüten aus Neumaterial, dennoch werden sie nach einmaliger Nutzung zu Abfall“, sagt Henriette Schneider, Projektmanagerin Kreislaufwirtschaft bei der DUH.
„Im Gegensatz zu Plastiktüten sind Papiertüten aus recyceltem Material zwar biologisch abbaubar, dafür verbrauchen sie in der Herstellung besonders viel Wasser, Energie und Chemikalien.“ Um genauso reißfest wie Plastiktüten zu sein, müssten Papiertüten sehr dickwandig sein. Dadurch würden sie bedeutend schwerer.
„Für die Herstellung robuster Papiertüten werden zudem besonders lange Papierfasern benötigt, meist aus dem Holz langsam wachsender Nadelhölzer“, so Schneider weiter. Wer wirklich nachhaltiger einkaufen will, dem rät Schneider zur Verwendung von Mehrwegtüten.
Im Check: Welche Tragetasche ist wirklich umweltfreundlich?
Kaffeebecher – Umweltsünde-to-go
Morgens schnell beim Bäcker rein und einen Kaffee zum Mitnehmen bestellen – das gehört für viele zum Start in den Tag dazu. Dass der Becher, der der dabei über die Theke wandert, ein großes Problem für die Umwelt darstellt, ist aber nur wenigen bewusst.
Rund 2,8 Milliarden Coffee-to-go-Becher verbrauchen die Deutschen laut DUH im Jahr. Stapelt man diese Becher inklusive Deckel aufeinander, entsteht ein 300.000 Kilometer hoher Turm. Zum Vergleich: Der Mond ist 384.400 Kilometer von der Erde entfernt. Alleine die Einwohner Kiels sind umgerechnet für über acht Millionen Einwegbecher im Jahr verantwortlich.
Becher sind mit Plastik beschichtet
Das Problem mit den Coffee-to-go-Bechern ist aber nicht nur die unglaubliche Menge an Müll. Die meisten Becher sind nämlich nicht, wie oft angenommen, nur aus Pappe, sondern von innen mit einer dünnen Plastikschicht überzogen, damit sie durch die Flüssigkeit nicht aufweichen.
Weil sich die Kunststoffschicht nur schwer von den Papierfasern lösen lassen, sind Kaffeebecher schwer zu recyceln. Dementsprechend oft werden sie auf den Recyclinghöfen einfach verbrannt.
Die Stadt Kiel will sich auch dieses Problems annehmen. Unter dem Motto „Kaffee geht Mehrweg“ diskutiert Umweltberaterin Nicoline Henkel seit 2017 das Thema mit Vertretern aus dem Einzelhandel. „Unser Ziel damals war es, den Einweg-Anteil von Coffee-to-go-Bechern zu reduzieren“, sagt sie. „Die erste Maßnahme war, Mehrwegbecher gesetzlich zu ermöglichen.“ Dafür mussten die Hygienerichtlinien angepasst werden.
„Grundsätzlich ist von außen nicht erkennbar, ob mitgebrachte Gefäße wie Frischhaltedosen oder Kaffeebecher hygienisch einwandfrei sind“, sagte Christoph Cassel, stellvertretender Leiter des für Lebensmittelkontrollen zuständigen Bürger- und Ordnungsamtes 2016 gegenüber KN-online. „Also dürfen mitgebrachte Gefäße nicht hinter dem Tresen befüllt werden, um die Hygiene-Anforderungen zu wahren.“
Gastronomen dürfen selbst über Mehrwegbecher entscheiden
Mittlerweile sieht das anders aus. „Angebote zur (Wieder-)Befüllung mitgebrachter, kundeneigener Mehrwegbecher mit Heißgetränken zur Mitnahme sind in Betriebsstätten der Gastronomie, Systemgastronomie, Gemeinschaftsverpflegung und im Einzelhandel grundsätzlich möglich, sofern die jeweils verantwortlichen Lebensmittelunternehmer sich freiwillig hierfür entscheiden“, heißt es in einem Merkblatt des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde.
Unter Einhaltung bestimmter Regeln dürfen Mehrwegbecher wieder befüllt werden. So ist beispielsweise darauf zu achten, dass die Kaffeemaschine nicht mit dem mitgebrachten Kundenbecher in Berührung kommt und dass sich in der Nähe der Kaffeemaschine keine leicht verderblichen Lebensmittel befinden.
„Bei uns wird jeder Mehrwegbecher befüllt“
Bei vielen Kieler Bäckern und in vielen Cafés ist das Wiederbefüllen schon längst gängige Praxis. „Bei uns wird jeder Mehrwegbecher befüllt, also auch die von anderen Ketten“, sagt etwa Moritz Günther, Geschäftsführer der Bäckerei-Kette „Günther“. Dort werden, wie in vielen anderen Bäckereien und Cafés, eigene Mehrwegbecher angeboten. Beim Kauf eines solchen Bechers ist die Befüllung inklusive, Nachbefüllungen werden rabattiert.
Viele andere Bäckereien und Cafés, etwa Steiskal, Brotgarten und Campus Suite, verfahren auf die gleiche Weise. Allerdings werden überall trotzdem noch Einwegbecher angeboten. „Die Frage ist aber, wie lange noch“, sagt Günther. „Wir finden den Einwegbecher nicht gut und überlegen, was eine Alternative sein könnte.“
Im Check: Wie umweltfreundlich ist mein Kaffeebecher?
Für Henriette Schneider von der DUH ist der Mehrwegbecher eine umweltfreundliche Alternative zum Einwegbecher. „Weil ein Mehrwegbecher mehrere hundert Male wiederverwendet werden kann, sind die Umweltauswirkungen seiner Herstellung über die gesamte Produktlebensdauer vergleichsweise gering“, sagt sie. „Einige Mehrwegbecher weisen bereits nach rund 20 bis 30 Wiederverwendungen eine bessere Umweltbilanz auf als Einwegbecher.“
Damit Mehrwegbecher aber optimal genutzt werden können, braucht es ein einheitliches Pfandsystem, damit der Kaffeefreund seinen Becher nicht nur überall befüllen lassen kann, sondern ihn auch wieder abgibt und ihn so wieder in Umlauf bringt. „Wir wollen ein Pfandsystem initiieren“, sagt Nicoline Henkel von der Stadt Kiel. In Lübeck gibt es ein solches System bereits seit 2018. Auch Volker Grzella, einer der Geschäftsführer der Vollkornbäckerei Brotgarten, spricht sich für ein solches System aus. „Für eine runde Sache gehört bei einem Coffee-to-go ein Mehrwegbecher dazu, den der Kunde überall zurückgeben kann“, sagt er.
Karte: Hier können Sie Ihren Mehrwegbecher nachfüllen
Was kann man gegen die Plastikflut tun?
Die Rolle des Einzelnen: Plastikmüll vermeiden
Wie aber kann man dem vielen Plastik nun entgegentreten? Die naheliegendste Möglichkeit ist, möglichst wenig Plastikmüll zu produzieren. Wie sich das in den Alltag integrieren lässt, damit kennt sich Marie Delaperrière aus. Seit fünf Jahren betreibt sie in Kiel den Unverpackt-Laden. Dort können sich Kunden alle Produkte in Mehrwegverpackungen abfüllen und plastikfrei einkaufen.
Dafür wiegen die Kunden zunächst das Leergewicht der Verpackung und füllen sich dann die gewünschte Ware aus Glasbehältern ab. An der Kasse wird nach Gewicht bezahlt. Ein Vorteil dabei sei, dass man nicht nur weniger Verpackungsmüll produziere, sondern auch nur genau die Menge einkaufe, die man wirklich brauche. In Delaperrières Laden findet man von Gewürzen über Nudeln bis hin zu Gummibärchen alles, was auch im Supermarkt erhältlich ist.
Um auf Plastik im Alltag zu verzichten sei vor allem wichtig, das ganze nicht als Einschränkung oder Verzicht zu sehen und sich nicht verrückt zu machen, wenn man doch einmal Plastik verwendet. Man solle es stattdessen jedes Mal als kleinen Sieg feiern, wenn man Plastik vermieden hat, rät Delaperrière. Außerdem könnten Routinen dabei helfen, das eigene Verhalten zu ändern, etwa, indem man sich einen faltbaren Mehrwegbeutel neben Handy oder den Haustürschlüssel legt. „Denn das nimmt man immer mit und dann vergisst man auch den Beutel nicht. Und wenn auch das nicht hilft, kann man sich den Beutel auch ans Handy machen.“
Exkurs: Marie Delaperrières Tipps für ein Leben ohne Plastik
- Für Spontaneinkäufe immer einen Stoffbeutel dabeihaben.
- Mehrwegflasche aus Glas oder Edelstahl für Getränke unterwegs oder bei der Arbeit benutzen.
- Für den Coffee-to-go einen Mehrwegbecher mitnehmen.
- Auch für Kosmetik Mehrwegbehälter verwenden. Beispielsweise Shampooflaschen oder als Alternative Schampooblöcke. Statt Zahnpasta aus der Plastiktube Zahnpastatabletten oder Zahnpasta aus Glasbehältern kaufen.
- Auch Reinigungs- und Waschmittel werden in einigen Geschäften in nachfüllbaren Gefäßen verkauft.
- Brotdose oder Foodbehälter für das Pausenbrot statt Frischhaltefolie benutzen.
- In der Bar auf Strohhalme im Cocktail verzichten oder einen eigenen Mehrwegstrohhalm zum Beispiel aus Glas mitbringen.
- Im konventionellen Supermarkt auf Verpackungen achten und Alternativen im Glas oder Karton kaufen.
- Für die Mittagspause am Imbiss eine eigene Gabel oder eine Dose mitnehmen.
- Seinen Konsum hinterfragen. Brauche ich das wirklich? Gibt es eine Alternative?
Bildergalerie: Eindrücke aus dem Unverpackt-Laden
Was Industrie und Politik tun können
Materialwissenschaftler Rainer Adelung von der CAU Kiel sieht auch die Industrie in der Pflicht. „Ich würde sagen, dass es aus wissenschaftlicher Sicht jetzt schon möglich ist, Kunststoffe zu produzieren, die sich etwa nach 30 Jahren abbauen würden“, sagt er. Dafür sei aber ein Umdenken notwendig, das nicht von allen gewollt sei.
„Die Frage ist immer: Gibt es eine treibende Kraft für einen solchen Umbruch oder habe ich eine Industrie, die ihren alten Kram schon ewig macht und nur an der Marge interessiert ist und nicht an der Innovation“, so Adelung weiter. „Eigentlich sollte es einen marktwirtschaftlichen Druck geben. Aber die großen Konzerne haben das untereinander so aufgeteilt, da gibt es eigentlich keinen Fortschritt mehr.“ Weil sich eine Branche nur unter Druck verändere, sei nun die Politik und kreative Start-Ups gefordert, mit Richtlinien oder neuen Ideen für den nötigen Druck zu sorgen.
EU beschließt Verbot
Die Politik versucht das mit einem EU-weiten Verbot für Einmalprodukte aus Kunststoff wie z.B. Plastikteller und Strohhalme. Am 27. März gab das EU-Parlament grünes Licht. Verboten werden sollen ab 2021 aber nur solche Gegenstände, für die es bessere Alternativen gibt. Außerdem soll es für einige Einmalprodukte mit einem gewissen Kunststoffanteil, z.B. Kosmetiktücher, eine Kennzeichnungspflicht geben.
In Kraft treten soll das Verbot in ungefähr zwei Jahren. Die EU-Kommission gibt an, dass sich durch die Maßnahmen bis 2030 Umweltschäden in Höhe von 30 Milliarden Euro verhindern lassen. „Wir dürfen unseren Planeten den nächsten Generationen nicht als Müllhalde hinterlassen“, sagte der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen.
Umweltschützern reicht das aber nicht. Sie wünschen sich eine Mehrweg-Quote für Getränke, Abgaben auf Einwegflaschen, Steuern auf Plastik, einen Preis auch für dünne Plastiktüten für Obst oder Gemüse, verbindliche Ziele zur Müllvermeidung und schärfere Regeln für den Müllexport, damit deutscher Plastikabfall nicht anderswo in der Landschaft landet.
Auch aus der Politik gibt es kritische Stimmen, etwa von der FDP-Bundestagsabgeordneten Judith Skudelny. „Die Meere werden nicht dadurch sauberer, dass wir in Europa Plastikstrohhalme und Q-Tips verbieten.“ Europa müsse, so die Politikerin, vielmehr Techniken bereitstellen, die verhindern, dass in Schwellen- und Entwicklungsländern das Meer als Mülldeponie missbraucht werde.
Start-ups: Neue Ideen als Lösung
Start-ups, die sich mit Alternativen zu Einwegprodukten aus Plastik oder dem Plastikmüllproblem generell beschäftigen, gibt es auch in Kiel. Wir stellen die Start-ups in kurzen Videos vor.
„Umtüten“ etwa hat Mehrwegeinkaufstüten entwickelt, die mittlerweile deutschlandweit in Biomärkten und Bäckereien verkauft werden.
„Küstenbiene“ beschäftigt sich mit der Entwicklung nachhaltiger und regionaler Produkte und hat mit dem „Wassdook“, einem mit Wachs beschichteten Leinentuch, eine Alternative zu Frischhaltefolie auf den Markt gebracht.
„Polymeer“ stellt neue Produkte aus Plastikmüll her und möchte damit ein Vorbild in Sachen Recycling sein.
Solche kreativen Ansätze machen zumindest Hoffnung darauf, dass es gelingen kann, der Plastikflut Herr zu werden. Auch das EU-Verbot von Einwegprodukten ist ein Schritt in die richtige Richtung – zumindest als Signal an Länder, in denen Umweltschutz eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Den Schlüssel, um das Problem zu lösen, dürfte aber, so sagt es auch Materialwissenschaftler Adelung, die Industrie in den Händen halten. Denn damit sich die Produktion eines alternativen Werkstoffes lohnt, müsste sie auch massenweise hergestellt werden. Und dann wäre es auch selbstverständlich, diese Alternativen in seinen Alltag einzubauen.
Eine Multimedia-Reportage mit Texten von Sebastian Ernst.
Grafiken: Deutsche Umwelthilfe, Sebastian Ernst und Lea Zurborg.
Videos: Sebastian Ernst.
Fotos: Rainer Krüger, Frank Peter, Uwe Paesler, Cornelia Müller, Nicoline Henkel, Supermärkte Nord, Stadt Kiel, Sebastian Ernst und dpa.