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Appetit ist vergänglich: Und doch bedauert es Konstantin Rosengarth am meisten, wenn das Essen auf dem Tisch dampft und duftet, und plötzlich sein Handy klingelt. Rosengarth ist Ermittler in der Kieler Mordkommission. Wenn sein Chef anruft, bedeutet das meist nichts Gutes – dann ist ein Mensch unter unklaren Umständen gestorben. Für Rosengarth heißt das: Arbeit.
Manche nennen sie mysteriös, andere haben einfach großen Respekt vor diesen Ermittlern. Das Kommissariat 1 der Bezirkskriminalinspektion, die Mordkommission, sitzt im obersten Stock des als „Blume“ bekannten Gebäudes in der Kieler Blumenstraße. Eigentlich sind die Räume für Außenstehende fest verschlossen. „Die Arbeit hier ist nichts für Dienstanfänger. Man muss erfahren und stabil im Umgang mit Toten sein“, sagt Leiter Thorsten Möller. „Für mich ist die Mordkommission aus kriminalpolizeilicher Sicht die Königsdisziplin.“ Die Beamten ermitteln unter ganz speziellem Druck.
„Es gibt keine Bereitschaft“
Konstantin Rosengarth steht gar nicht so weit vorne in der Alarmierungskette: Wird der Polizei irgendwo im Landgerichtsbezirk Kiel ein mysteriöser Todesfall gemeldet, erfährt es zunächst Thorsten Möller, seit Oktober 2017 Leiter der Mordkommission. Er hat den Überblick über die Zweierteams im K1, und entscheidet, wen er zum mutmaßlichen Mord schickt. „Das läuft in der Regel zur Unzeit ab.“ Akut muss Möller beurteilen, wer für das Szenario am besten geeignet ist. Ist es Rosengarth mit seinem Teampartner? Auch Privates spielt eine Rolle: „Ich würde auch ein ‚Nein‘ akzeptieren. Beispielsweise von einem jungen Vater, wenn es um ein totes Kind geht.“
Doch auch wenn es keine Bereitschaft gibt: Eigentlich lehnt ein Mitglied der Mordkommission keinen Fall ab. Möller (58) drückt das so aus: „Niemand wird hierhin strafversetzt.“ Die meisten Ermittler sind etwas jünger, im besten Familienalter. Sie arbeiten trotzdem hier. Rosengarth ist 45, hat zwei Kinder und gibt zu, dass sich die Kollegen selbst auf Verdacht in der Freizeit einschränken – das Handy könnte immer klingeln. „Es geht hier keiner mehr einem festen Hobby nach.“ Sein Kollege Steffen Wiest (35) sagt: „Ich merke erst im Urlaub, dass das Handy nicht klingeln kann.“
Einblick in die Räume der Mordkommission
Egal woraus die Polizistinnen und Polizisten gerade gerissen werden – sie müssen sofort voll da sein. „Auch nachts um vier sind alle hellwach“, sagt Möller. Er kann sich auf sein Team verlassen. Ob grausamer Leichenfund oder rätselhafte Spurenlage: Nach der ersten Alarmierung funktionieren hier alle. Und diese Kommissariatsphase, in der möglichst viele Mitglieder vor Ort einsteigen, ist immer sehr intensiv. Möller lehnt sich auf seinem Stuhl im Besprechungsraum etwas zurück und sagt: „Man fährt dann ja auch nicht nur für eine Stunde los. Die ersten Tage kann es das ganze Privatleben kosten.“
Tagelange Spurenaufnahme am Tatort – immer in Zusammenarbeit mit den lokalen Beamten und dem Kommissariat 6 für die technische Spurensicherung. Nach Hause kommen, schlafen, duschen, wieder los. Dosensuppen, Cola, Energy-Drinks. Nichts dürfen die Ermittler direkt nach einer Tat übersehen, müssen alles dokumentieren. „Ein freigegebener Tatort ist für uns für weitere Spurensuche verloren“, sagt Möller. Frische Spuren sind nicht nur Gegenstände: „Die klassische Hausbefragung ist wirklich wichtig“, sagt Möller, weil auch Erinnerungen und Beobachtungen vergänglich seien.
Dazu kommt der psychologische Faktor: „Angehörige der Opfer wollen wir selbst betreuten und befragen“, so Möller. „Sie sind auch immer Opfer der Tat.“ Zwar bekräftigen die Mordermittler, dass sie nicht nur für die Arbeit lebten – aber sie geben zu, dass der Eindruck entstehen könne. Wiest würde, wäre er nach der Aufnahme eines Tatorts zum Geburtstag eingeladen, „vielleicht auch absagen.“ Wenn er denn überhaupt nach Hause kommt. „Es kommt vor, dass ich meine Kinder beispielsweise von Sonntag- bis Mittwochabend nicht sehe“, sagt Rosengarth. „Da stellt man sich schon mal die Frage: ‚Was mache ich hier eigentlich?'“
„Selten ist der Fall in 90 Minuten gelöst“
Im Fall der Fälle: Ermittlungsgruppe Schönberg
Die Umgebung ist skurril, der Anlass ernst: Im Saal unter dem Dach der Blume finden sonst Feiern der Polizei statt. Doch derzeit sitzt hier die Ermittlungsgruppe, kurz „EG“, Schönberg. Drei Wochen nach dem tragischen Tod einer 39-jährigen Mutter aus dem kleinen Ort nordöstlich Kiels hat die Mordkommission diese Extraeinheit gebildet. Mehrere Mitarbeiter werden nicht mehr akut mit anderen Ermittlungen betraut, befassen sich nicht mehr mit alten Fällen. Es geht einfach nur darum: Was ist in der Silvesternacht in Schönberg passiert?
„Bei einer Ermittlungsgruppe ist die Qualität des Sachverhalts eine hohe“, so drückt es Chef Peter Jensen aus. Und dieser Fall ist besonders rätselhaft: Die Familienmutter sackt von Projektilteilen zu Tode getroffen zusammen, aber bis heute sind weder Motiv noch Verdächtiger für die Ermittler erkennbar – trotz aufwendigster Spurensuche, Ermittlungstechniken und Befragungen der Nachbarn. Die EG sollte alle Erkenntnisse bündeln und neue Impulse bringen.
„Man muss sich eine Ermittlungsgruppe auch wie einen Ideenpool vorstellen“, sagt Jensen. An der Wand hängen neben Fischernetzen mit Partyschmuck, der noch an Weihnachten erinnert, plakateweise Notizen und Karten von der Umgebung des Tatorts. Mehrere Mitarbeiter hocken an zusammengeschobenen Schreibtischen in der Mitte des Saales. Anzahl und Namen will die Kripo nicht nennen: Geheim.
Der Fall sei sehr tragisch, sagt Jensen. Doch er will auch deutlich machen, dass es nicht um die öffentliche Aufmerksamkeit geht, weshalb diese EG so spontan und an diesem bizarren Ort eingerichtet wurde – sondern um die Komplexität des Falles: „Das ist wirklich eine Sisyphusarbeit hier und keine klassische Arbeitsumgebung.“ Aber Jensen versichert: „Die Ermittlungen in einer EG werden solange weitergeführt, bis alle Spuren abgearbeitet, alle Ansätze durchermittelt sind – also alles an Möglichkeiten ausgereizt ist.“
Zuletzt gelang es Experten des Landeskriminalamtes in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden zumindest, den möglichen Ort der Schussabgabe einzugrenzen; das bisher letzte Puzzleteil in diesem emotionalen Fall. Doch zur Aufklärung führte auch das noch nicht. Auch Wochen nach der Tat gehen noch immer neue Zeugenhinweise ein. Auch das beweist, dass der Fall viele Menschen weiter beschäftigt.
„Man kannte den Toten“
Wenn die Kommissariatsphase vorbei ist, übernimmt eines der Zweierteams federführend die Sachbearbeitung. Dann kehrt so etwas Ähnliches wie Alltag ein – wenn man davon im Mordfall überhaupt sprechen kann. „Es gibt keine Steigerung von tot“, sagt Chef Thorsten Möller. Er weiß, dass dann nicht nur die Angehörigen auf Fortschritte warten, sondern auch die Öffentlichkeit lauert: Presse, Medien, Berichterstattung.
„Den Druck muss man aushalten“, sagt der Chef. Und die Mitarbeiter? Rosengarth bekräftigt, die Erwartungshaltung komplett auszublenden. Wirft er sich auch schon einmal etwas vor – beispielsweise wenn es in einem Fall nicht vorangeht? „Handwerkliche Fehler wären für mich ein Misserfolg“, widerspricht er. Dass Mord oft rätselhaft ist und lange auch bleibt, ist dagegen Teil der Arbeit. Ja, es gibt auch etliche Fälle, die bleiben gefühlt ewig in Bearbeitung. 20 bis 30 Leitz-Ordner sind keine Seltenheit. In Kiel kennen viele die Namen Tekin Bicer, der seit 2010 vermisst wird, oder den der 2016 wohl ermordeten Linde Perrey – aber auch den der Studentin Viktoria W. Ihr Mordfall wurde 2007 nach eineinhalb Jahren aufgeklärt.
Alltag ist: Morgens Lagemeldungen, Besprechungen im Team, stundenlange An- und Rückfahrten zu Befragungen – denn das Gebiet der Kieler Mordkommission reicht von kurz vor Kappeln bis an den Hamburger Rand: „Unsere Arbeit ist wesentlich langatmiger als sie in Krimis dargestellt wird“, sagt Möller, dem die Darstellung seines Berufs oft keine Freude bereitet. „Ich gucke keine deutschen Krimis. Da kriege ich Bauchschmerzen.“ Ein Beispiel für wenig erquickende Detailarbeit gefällig? 12.000 Fotos auf einem sichergestellten Smartphone sind heute keine Seltenheit.
Borowski statt Büro: TV-Krimis entsetzen so manchen Ermittler
Selbst wenn ein Tatverdächtiger gefasst ist, kann sich hier niemand entspannen. „In Richtung Schlussbericht rücken die Fristen immer näher. Dann kann ich nicht von 8 bis 16 Uhr arbeiten“, sagt Möller, der von 1995 bis 2006 selbst Ermittler in der Mordkommission war und weiß, was seine Mitarbeiter leisten. „Aus unserer Sicht ist der Anspruch, dass im Abschlussbericht keine Fragen offen sind“, sagt Wiest. Und dieser Bericht kann mehrere Hundert Seiten lang sein. Beginnt die Gerichtsverhandlung, können Nachfragen kommen. Endlich hören sich die Ermittler das Urteil regelmäßig an. Ein Ergebnis ihrer Arbeit.
Doch wenn die Ermittler alle Zeugen befragt, alle DNA-Spuren ausgewertet haben, allen Hinweisen bis zur letzten Abzweigung nachgegangen sind – dann kann es auch einmal nicht weitergehen, zumindest auf dem üblichen Weg. Zwar kommen regelmäßig Hinweise zu alten Fällen, was Möller selbst „erstaunlich“ findet. Doch die Kriminalisten haben auch Instanzen, die sicherstellen, dass sich niemand in einem Fall verfranzt. Die Operative Fallanalyse (OFA) schaut ständig auf die Arbeit, nach einem Jahr ist eine grundlegende Fallbesprechung Pflicht – und irgendwann kommt auch die Cold Case Unit (CCU) in Sicht, das Sachgebiet 2.43 im Landeskriminalamt, die Experten für Fälle, die vermeintlich ins Stocken geraten sind. Möller nennt sie „frische Augen“.
Manche Fälle lassen die Ermittler nicht los
Manchmal aber geraten die Ermittler selbst ins Stocken. Als Menschen. Dann sucht sie ein Fall heim: „Man schläft mit dem Gedanken an den Fall ein, und wacht damit auf“, schildert Möller, wie es sein sollte. „Wenn man aber davon träumt, sollte man sich Gedanken machen.“ In einem extremen Fall wie bei einem Kindstod seien Emotionen völlig normal. „Aber wenn es in acht Wochen noch immer so ist…“, verweist Möller auf psychologische Angebote der Polizei. Die seien breit aufgestellt und im Gegensatz zu manch anderem Bereich gebe es dabei nie Hakeleien um die Finanzierung. Zwar seien Geld und Personal auch in der Behörde Polizei immer irgendwie knapp – aber wichtige Kosten seien stets gesichert, sagen alle.
Die Belastung in der Mordkommission geht über die Arbeit vor allem dann hinaus, wenn der Ermittler „Parallelen zu einem selbst“ erkennt, so Rosengarth. In Akribie arbeitet er sich in das Opfer und sein Umfeld ein. So tief, dass es ihm schwer fallen kann, Abstand zu wahren. Genugtuung empfinden die Ermittler dennoch selten, wenn ein Täter wegen Mordes verurteilt wird. Aber die Dankbarkeit der Angehörigen berühre sie. Wiest sagt: „Man hat nachher das Gefühl, man kannte den Toten.“