WOA 2019: Wie aus Wacken das Mekka des Heavy Metal wurde

Wacken und Heavy Metal – das ist seit 30 Jahren eine untrennbare Kombination. 85.000 Besucher machen den Ort zum lautesten in Schleswig-Holstein. Wie bereitet sich das kleine Dorf im Kreis Steinburg auf das Wacken Open Air 2019 vor? Ein Blick hinter die Kulissen – und ein Gespräch mit Organisator Thomas Jensen.

Jedes Jahr im August sehen die Bewohner von Wacken schwarz. Tausende Metal-Fans in vornehmlich dunklen Jacken, Shirts und Hosen strömen in die 2000-Einwohner-Gemeinde. Seit 2011 liegt ihre Zahl konstant bei rund 85.000. Die Metalheads sind dann überall: auf der langgezogenen Hauptstraße, im Imbiss, im Supermarkt, in der Kirche – und natürlich auf dem Festivalgelände vom Wacken Open Air.

Festivalbesucher des Wacken Open Air 2018 warten in einer langen Schlange vor dem örtlichen Edeka. Der Laden öffnet nur noch während des WOA seine Tür.

Im Dorf und auf den Koppeln dröhnen beim WOA harte Gitarrenriffs und rauer Rockergesang – und die Bewohner von Wacken feiern mit. Die Vorfreude ist groß, doch vorab gibt es einiges zu tun.

Ein Dorf macht sich bereit

Juli 2019: Statt zur Gitarre wird in Wacken zum Staubwedel gegriffen. Klemens Lehnhoff (Foto, 2. von links) steht inmitten von dutzenden Pappkartons, Kleiderständern und staubigen Vitrinen. Um ihn herum stapeln sich Bademäntel, Kerzen, T-Shirts, Schneekugeln, Jeansjacken, Gin und Toaster – alle verziert mit dem Logo des WOA, einem Schriftzug mit einem skelettierten Kuhschädel in der Mitte. Der 28-Jährige ist zuständig für die Fanartikel des Heavy-Metal-Festivals, das jährlich im August stattfindet. Ein Teil der rund 100 verschiedenen Artikel befindet sich momentan noch im Lager in der Wackener Hauptstraße. Von dort aus wird er mit Lastwagen auf das Festivalgelände und in den offiziellen Laden ein paar hundert Meter weiter geliefert. Die Zeit drängt – am 1. August 2019 startet offiziell das Wacken Open Air. 75.000 zahlende Besucher und rund 10.000 Schaulustige werden erwartet.

Von Hektik ist an diesem Nachmittag aber noch nichts zu spüren. Auf der langgezogenen Hauptstraße der knapp 2000 Einwohner zählenden Gemeinde zuckelt ab und zu ein Auto oder ein Traktor vorbei.

Im Dorf Wacken ist Ende Juli noch nicht viel los.

Menschen sind kaum auf der Straße. Das Dorf döst an diesem Sommertag vor sich hin.

Fotostrecke: So sieht es in Wacken vor dem WOA 2019 aus

Svenja Grübner und ihre kleine Tochter lehnen gemütlich an einer Hauswand und gönnen sich in der Sonne ein Eis. Die 29-Jährige hat nach der Schule ihre Ausbildung im lokalen Supermarkt gemacht – und dort einiges mit den Wacken-Fans erlebt: „Viele wollten unbedingt ‚Wacken‘ ins Mikro an der Kasse brüllen, das war für die das Größte“. Heute ist der kleine Supermarkt geschlossen. Nachdem am Dorfrand ein Gewerbegebiet gebaut wurde, öffnet der kleine Laden im Zentrum nur noch zum WOA seine Türen. Dieses Jahr gibt es auf dem Infield des Festivalgeländes erstmals einen großen Supermarkt, den Metal-Markt. Wie der sich auf den Umsatz der lokalen Händler auswirkt, ist noch unklar.

Grübner hat das Festival in den vergangenen Jahren immer wieder gern besucht. Ihr Mann sei anfangs gar nicht begeistert von der Musik gewesen, sagt sie. „Mittlerweile wohnt er aber auch im Dorf und hat Heavy Metal lieben gelernt.“

Video: Wacken vor dem WOA 2019

Im Döner-Imbiss von Isa Kosar können sich Bewohner mit einer „Pizza Wacken Open Air“ stärken: Schinken, Thunfisch, Pilze, Zwiebeln, Mais und Pepperoni ab 7,50 Euro. Gefragt sind während des Festivals aber eher die Klassiker: Pizza mit Salami oder Dürum – meist „extra scharf“. Eine Woche braucht Kosar, um sich auf den Ansturm der Besucher vorzubereiten und kiloweise Krautsalat, Tzaziki und Soßen herzustellen.

Der Aufwand zahlt sich aus: Laut einer Studie aus dem Jahr 2012 gibt jeder Festivalbesucher im Schnitt 44 Euro im Dorf aus. Für die Händler in Wacken ein lohnendes Geschäft. Auf dem Festivalgelände bleiben insgesamt rund 20 Millionen Euro. Wie konnte eine einst kleine Veranstaltung mit 800 Zuschauern so eine Dimension erreichen?

Lederjacke statt Stehkragen: Wie alles begann

1989: Stehkragen-Hemden, verzierte Brokatwesten, luftige Chiffronröcke:  So zeigte sich die modebewusste Jugend im Wendejahr. Zwei junge Männer aus Wacken widersetzten sich dem Trend: Holger Hübner und Thomas Jensen bevorzugten dunkle Jeans und Lederjacken. Sie waren Metal-Fans, selbst DJ und Musiker – und wollten die rockigen Riffs in ihr verschlafenes Heimatdorf bringen.

Thomas Jensen erinnert sich an seine Kindheit in der schleswig-holsteinischen Provinz: „Ich bin in Wacken aufgewachsen, habe mit zehn Jahren mein Taschengeld hier im Landgasthof aufgebessert, die Flaschen von Lieferanten auseinander sortiert, später dann für die Landfrauen gekellnert. Hier sind wir immer noch die ‚Jungs vom Dorf‘ und für so manchen Älteren wahrscheinlich immer noch die Rotzlöffel von damals.“ An einem gemeinsamen Kneipenabend von Jensen und Hübner war die Idee zu einem Open-Air-Festival in einer Kiesgrube geboren.

Video: Thomas Jensen über die Anfänge des WOA

Rund 800 Menschen aus Wacken und Umgebung kamen und zahlten zwölf Mark, um die sechs Bands aus Schleswig-Holstein und Hamburg zu erleben. Die Bühne wurde von den Veranstaltern selbst gebaut, Technik auf einem geliehenen Anhänger installiert.

Fotostrecke: So war das WOA 1990

Oliver Peters aus Hamburg war mit seiner Band 5th Avenue aus Hamburg dabei. Im Interview erinnert er sich an das erste WOA 1990:

Oliver Peters zu…

…seinem ersten Eindruck von Wacken: „Vom Dorf Wacken hatte ich vor unserem Konzert 1990 noch nie etwas gehört.  Als wir mit unserem Auto aus Hamburg angereist sind, wurden die Straßen immer kleiner. Ich hatte das Gefühl, dass es dort mehr Kühe als Menschen gibt.“

…zum ersten Wacken Open Air 1990: „Wir wurden mit Schnaps empfangen, das Essen spendierten die Eltern von Holger Hübner und Thomas Jensen. Die Zuschauer kamen fast ausschließlich aus Wacken, die Atmosphäre war sehr freundschaftlich.“

Die Band 5th Avenue hat schon auf dem 1. WOA 1990 gespielt. Foto: privat

…zur Veränderung zwischen seinen Auftritten 1996 und 2014: „Das WOA ist deutlich professioneller geworden. Es gibt mehr Bühnen, dadurch steigt der Zeitdruck, weil die Umbauzeit kürzer ist. Alles ist mittlerweile straff organisiert. Dafür ist der Backstagebereich größer und komfortabler geworden. Es gibt einen Umkleideraum, Sofas und einen eigenen Künstlerbereich für Bands, die auf den kleineren Bühnen spielen. Dadurch kommt man aber auch mit den großen Namen nicht mehr so einfach ins Gespräch. Früher haben wir zum Beispiel öfter mit Lemmy von Motörhead geschnackt. “

…zu Thomas Jensen und Holger Hübner: „Mit beiden habe ich mehrmals im Jahr Kontakt. Sie sind sich über die Jahre treu geblieben. Sehr herzliche, loyale Menschen, die für jeden ein offenes Ohr haben. Beide halten sich nicht an Konventionen, deswegen haben sie es so weit gebracht. Einige Bands, die auf dem Wacken auftreten, sehe ich mittlerweile kritisch. Aber das ausverkaufte Festival gibt Holger und Thomas recht.“

…zum besonderen Wacken-Spirit: „Das WOA ist und bleibt für uns etwas Besonderes. Auch kleinere Bands wie wir fühlen uns wertgeschätzt. Die Organisatoren sind mit Herzblut dabei. Das Publikum ist sehr tolerant, hat Lust auf Party und ist trotzdem sehr friedlich und entspannt.“

…der Zukunft des WOA: „Ein Festival muss sich verändern, wenn es erfolgreich bleiben will. Ansprüche und Musikgeschmack des Publikums bleiben nicht gleich. Holger und Thomas haben immer frische Ideen gehabt. Für mich ist die Grenze aber bei 75.000 Zuschauern erreicht. Größer sollte das WOA nicht werden.“

So sieht Oliver Peters, Sänger der Hamburger Band 5th Avenue, heute aus. Foto: Bildfeldfotografie

Bier, Sonne, Heavy-Metal: An den Grundzügen des WOA hat sich seit 1990 kaum etwas geändert. Die Maßstäbe sind heute jedoch ganz andere. Aus 800 Besuchern in einer Kieskuhle sind 75.000 zahlende Fans auf einem 300 Hektar großen Koppel-Gelände geworden.

Quiz: Testen Sie Ihr Wissen zum ersten Wacken Open Air

Von 800 auf 75.000: Wie das Wacken Open Air zu einer Massenveranstaltung wurde

Das WOA ist mittlerweile ein Festival der Superlative: 48 Kilometer Bauzaun, knapp 2000 Toiletten, 150 Essensstände, 20 Sattelzüge Lichttechnik, 300 Zelte und Pagoden, acht Bühnen – und insgesamt rund 600 Tonnen Müll: Mit diesen und vielen weiteren Daten planen die Veranstalter für das Wacken Open Air 2019. Die benötigte Stromleistung beträgt rund zwölf Megawatt, was dem durchschnittlichen Strombedarf einer Stadt wie Neumünster entspricht.

Zusätzlich zum Feststrom werden in diesem Jahr 40 Dieselaggregate aufgestellt. 400 Polizisten, 250 Feuerwehrleute und 900 Sanitäter kümmern sich um das Wohl der Gäste. Insgesamt arbeiten rund 5000 Menschen auf dem Wacken Open Air 2019, 190 Bands treten in Hörweite der rund 2000 Dorfbewohner auf.

Welche Band am häufigsten auf dem WOA aufgetreten ist und wie sich die Ticketpreise entwickelt haben, zeigt unsere Grafik:

Für die meisten Bewohner von Wacken ist die Veranstaltung eine willkommene Abwechslung und ein riesiges Spektakel. Einige verkaufen am Straßenrand Essen oder Getränke. Straftaten passieren nach Angaben der Polizei relativ selten. Die Beamten loben das Festival als besonders friedlich. Anwohner Günter Breiholz kommt gern mit den Besuchern aus aller Welt in Kontakt. „Die Leute sind größtenteils sehr nett“, so der 64-Jährige. Was ihn stört: „Man kommt mit dem Auto nicht mehr aufs eigene Grundstück.“ Straßen würden gesperrt, einige Sicherheits-Mitarbeiter würden sich herablassend verhalten. „Das ist immer noch unser Dorf“, sagt Breiholz bestimmend. Auch das Stromaggregat direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite nervt ihn schon jetzt. „Meine Frau muss um vier Uhr morgens aufstehen, so bekommen wir kaum Schlaf.“

Breiholz ist nicht der einzige Anwohner, der etwas zu kritisieren hat. 2013 klagten einige von ihnen gegen das WOA –  die Musik war ihnen zu laut. Der Prozess endete mit einem Vergleich. Wird ein durchschnittlicher Mittelwert von 70 dB überschritten, spenden die Veranstalter 1000 Euro an wohltätige Zwecke.

1993 stand das Wacken Open Air fast vor dem Aus: Hübner und Jensen hatten sich als Konzertveranstalter mit eigener Firma verkalkuliert und insgesamt 350.000 Euro Schulden angehäuft. Auch der Kartenverkauf für das Wacken Open Air verlief in den folgenden Jahren schleppend. Die Wende brachte ausgerechnet ein Auftritt der Böhsen Onkelz, die als frühere Rechtsrock-Band in der Szene durchaus umstritten waren.

Alle Infos rund um Krisen und Höhepunkte beim Wacken Open Air haben wir in unserer Zeitleiste gesammelt:

Zwischen 1999 und 2008 machten Dokumentationen wie „Full Metal Village“ das Wacken Open Air auch international bekannt. Szene-Magazine berichteten über das kleine Dorf und seine große Liebe zur harten Musik. Seit 2002 fährt der sogenannte „Metal-Train“ jedes Jahr von Zürich nach Wacken und zurück. Zahlreiche Busse bringen Fans aus dem Ausland in den Kreis Steinburg. Ein Ansturm, der nicht nur positiv ist: Die schiere Größe von 75.000 Zuschauern und Auftritte von Schlagerstars wie Heino oder Roberto Blanco schrecken mittlerweile einige Fans ab.

Heino stand 2013 für ein Lied gemeinsam mit den Musikern der Gruppe Rammstein auf der Bühne, rechts Rammstein-Sänger Till Lindemann.

In Fan-Foren wird gegen eine „Kommerzialisierung“ des Festivals gewettert. Dass es mittlerweile Kreuzfahrten und Skireisen speziell für Fans des WOA gibt, liefert den Kritikern weiteres Futter. Gründer Thomas Jensen hält dagegen: „Solange ich irgendwo auf diesem Acker Heavy Metal finde, glaube ich nicht, dass ich mich rechtfertigen muss. Crossover hat es bei uns aber immer schon gegeben. Party-Elemente auch.“

Trotz Unmut einiger Metalheads: Das WOA 2019 war binnen vier Tagen ausverkauft. 2018 waren mehr als 80 Nationen auf dem Wacken Open Air vertreten. Viele Fans kommen seit Jahren.

Ein besonders treuer Fan ist Günter Jacob. Der mittlerweile 70-Jährige war schon beim ersten Wacken Open Air 1990 dabei. Inzwischen nutzt er seine Bekanntheit als „Wacken-Opa“ für den guten Zweck und verkauft Armbänder für die gemeinnützige Organisation „Lautstark gegen Krebs“. Im Interview verrät er, warum er jedes Jahr nach Wacken kommt.

Sie waren auf dem ersten Wacken Open Air 1990 mit dabei. Wie war das damals?

Jacob: „Ich sage immer, das erste Wacken war eigentlich das schönste Wacken, weil es noch alles primitiv, einfach und simpel war. Es war alles irgendwie improvisiert und trotzdem schön. Es war einfach Wacken.“

Wie haben Sie damals von dem Festival erfahren?

„Zu der Zeit habe ich in Elmshorn gewohnt und bin durch die Gegend gefahren und habe auf einem Plakat gelesen, dass dort ein Festival stattfindet. Und dann habe ich gedacht: ,Da muss man mal hin und mal gucken, was die da für Musik machen.'“

Sie waren auf jedem Wacken Open Air und viele kennen Sie als den „Wacken-Opa“ . Wie finden Sie den Namen?

„Das ist vor ungefähr zehn Jahren entstanden. Da war ich logischerweise auch auf Wacken und da waren rundherum nur junge Leute. Alles 18-, 19-, 20-Jährige und ich war ja da nun auch schon 60 Jahre alt. Dann haben wir abends zusammengesessen und unser Bierchen getrunken in der Runde. Und dann sagte der eine: ‚Opa, hör mal – Das ist ja klasse, dass du hier so bei uns sitzt.‘ Und dann rief einer: ,Das ist unser Wacken-Opa.‘ Und seitdem habe ich den Namen. Ich bin den Mädchen und Jungs mit Sicherheit nicht böse drum, dass ich jetzt der Wacken-Opa bin. Das bin ich halt.“

Was macht das Wacken Open Air Ihrer Meinung nach aus?

„Ich habe da alle möglichen Leute kennengelernt. Zum Beispiel einen Aufsichtsratsvorsitzenden aus München, einen Unternehmer aus Hamburg, einen jungen Mann aus Kanada, der eine Fischfabrik managt. Ich habe Rechtsanwälte und Ärzte getroffen, aber auch Maurer, Kfz-Mechaniker, Mitarbeiter der Müllentsorgung oder Tiefbauer. Auf Wacken sind alle gleich. Alle. Das ist das Schöne an Wacken. Man kann auch nicht erkennen, ob jemand Aufsichtsratsvorsitzender oder Tiefbauer ist, weil wir alle die gleichen Klamotten tragen und wir alle die gleichen Musikinteressen haben.“

Auf Wacken sind alle gleich.

„Wacken-Opa“ Günter Jacob

Manche werfen dem Wacken Open Air vor, dass es zu kommerziell geworden ist. Wie schätzen Sie das ein?

„Sicherlich war das 1990 ein kleines, schnuckeliges Festival. Alles war improvisiert. Holger und Thomas konnten kaum den Mund aufkriegen da oben vor dem Mikrofon, aber heute wird uns viel geboten. Es wird uns Musik geboten auf acht Bühnen, es werden uns Bands geboten, für die wir normalerweise für jede einzelne Band vierzig bis fünfzig Euro bezahlen müssten. Die Leute beschweren sich über die Preise? Warum? Wenn man heutzutage zu Metallica geht, dann zahlt man 90 Euro und mehr für eine Karte und hier zahlen die Leute 220 Euro und kriegen 190 Bands – Duschen, Toiletten und Camping sind frei.“

Gab es auch mal einen Moment, an dem sie keine Lust mehr hatten, auf das Wacken zu fahren?

„Nein! Nein, das hat es nie gegeben. Im Gegenteil – Ich habe meine Frau vor sieben Jahren kennengelernt und habe zu ihr gesagt, wenn wir zusammenbleiben möchten, dann hast du nur eine Möglichkeit. Diese eine Woche Wacken ist meine Woche – ganz gleich, was du vorhast. Gut, dann ist sie mitgekommen und hat gesagt: ,Jawoll, einmal Wacken immer Wacken.‘“

Fotostrecke: WOA 1991 – 2018

Welche Konzerte sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

„Da schießen mir gleich die Tränen in die Augen. Das ist Lemmy. Motörhead wird es in der Form einfach nie wieder geben. Leider Gottes. Und deswegen haben wir auch von „Lautstark gegen Krebs“ auf unseren T-Shirts Lemmy hinten als Aufnäher mit drauf“.

Lemmy Kilmister von Motörhead auf dem WOA 2014.

Wann haben Sie die „Lautstark gegen Krebs“-Aktion begonnen?

„Das ging im vergangenen Jahr los. Wir haben Freunde in Kiel, mit denen wir 2017 über Weihnachten in Ägypten waren. Wir kamen am 27. Dezember wieder, am 5. Januar 2018 ist der Mann ins Krankenhaus gekommen und bei ihm wurde Lungenkrebs im Endstadium diagnostiziert. Und am 27. Januar ist der dann leider verstorben. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt zu sagen, irgendwo und irgendwie müsste man da doch helfen können. Die Anregung kam dann von Jens Rusch, dem Maler aus Brunsbüttel, der mit der Wattolümpiade „Laut gegen Krebs“ organisiert hat und das nach wie vor macht. Und durch Holger Hübner, Thomas Jensen und Jens Rusch sind wir dann auf die Idee gekommen ‚Lautstark gegen Krebs zu machen‘, denn Wacken ist laut und Wacken ist stark. Ich habe dann im letzten Jahr auf dem Wacken den Außendienst gemacht und bin über das Infield (Anm. d. Red.: Gelände um die Bühnen) gefahren, beim Biergarten und entlang der Hauptstraße, um unsere Armbänder für eine Spende von fünf Euro zu verschenken. Dabei habe ich 4000 Euro eingenommen. Jetzt hat sich das Ganze weiterentwickelt. Wir sind in diesem Jahr noch auf vielen Festivals und ich fahre mit meinem Rollstuhl zum Wacken Open Air.“

Zum Abschluss: Was würden Sie jemandem raten, der dieses Jahr zum ersten Mal zum WOA fährt?

„Nimm Gummistiefel mit.“

Auf den heiligen Koppeln – so laufen die Vorbereitungen auf dem Festivalgelände

„Na, wie sieht das aus?“ – Thomas Jensen braucht einen Rat. Der Wacken-Gründer steht auf einer grünen Koppel am Ortsrand blinzelt in die knallende Juli-Sonne. In zwei Wochen soll hier das WOA stattfinden. Aber erstmal geht es um Jensens neue Sonnenbrille. „Passt“, sagt Mitarbeiterin Maria, die ihren Chef heute zum Pressetermin begleitet. Der kräftig gebaute Jensen schaut an sich herunter – Jeanshemd, T-Shirt, Jeans, Sneakers – und lächelt zufrieden. Von Stress keine Spur.

Wie stark belastet ihn die Verantwortung? „Ich glaube, wir sind heute einfach nur noch demütiger, das Wacken Open Air machen zu dürfen“, so Jensen im Interview. „Die ersten sieben, acht Jahre hat das Festival finanziell nicht viel abgeworfen, bis 1996/97 war das ja eher so eine semiprofessionelle Kiste. Erst ab der Jahrtausendwende konnten wir auch wirklich davon leben. Ich weiß noch, wie wir damals zu einem Mitarbeiter im Scherz gesagt haben, ‚Alter, bei uns kannst Du in Rente gehen‘ – und der ist schon fast 20 Jahre bei uns. Das ist doch Wahnsinn.“

Video: Gründer Thomas Jensen spricht über das WOA 2019

Jensen organisiert das WOA seit der Erstauflage 1990. Aus einem kleinen Kreis um Kumpel und Mitbegründer Holger Hübner ist mit den Jahren eine eigene Firma geworden, die früher „Stone Castle Rockpromotions“ hieß, 1999 in ICS umbenannt wurde und noch immer in Wacken ansässig ist.

Vier Mitarbeiter kümmern sich ganzjährig darum, dass im August die Technik stimmt und alle Gewerke von Bühnenbau bis Fuhrpark reibungslos zusammenarbeiten. Hanna Hiersig ist eine von ihnen. Im Juli und August arbeitet die 40-Jährige zusammen mit rund 100 anderen Leuten in der Produktionszentrale, einer Container-Ansammlung direkt auf dem 300 Hektar großen Festivalgelände. Der Auf- und Abbau der acht Bühnen dauert jeweils eine Woche.

Quiz: Testen Sie Ihr Wissen zum WOA 2019

Hiersigs Weg zum WOA verlief über Umwege. Die studierte Ur- und Frühgeschichtlerin absolvierte Praktika im Event-Bereich. Was ihr an der Arbeit als Produktionsleiterin besonders gefällt? Die Musik ist es nicht. „Privat höre ich keinen Heavy Metal“, sagt Hiersig. Stattdessen schwärmt sie vom „besonderen Gemeinschaftsgefühl“ beim Wacken Open Air: „Alle ziehen hier an einem Strang.“

Hanna Hiersig hat ihr Büro in einem Container auf dem Festivalgelände eingerichtet.

Während des dreitägigen Festivals könne es aber auch stressig werden: „Auf dem Wacken zu arbeiten ist schon anstrengend, mit Glamour hat das wenig zu tun. Zehn-Stunden-Tage sind dann normal.“ Wenn Crews und Bühnen optimal vorbereitet sind und die Musiker einfach ihre Show abliefern können, hat Hiersig ihren Job gut gemacht. Vom Chef Thomas Jensen gibt es vorab schon ein dickes Lob: „Wir haben so tolle, langjährige Mitarbeiter, die wissen genau, wie Holger und ich ticken.“

Fotostrecke: Das Festivalgelände im Aufbau

Hiersigs momentane Baustelle: Der Aufbau eines großen Supermarkts, in dem sich Wacken-Besucher während des Festivals auf 1500 Quadratmetern mit allem Notwendigen eindecken können. Kaufland hat sich den Auftrag für den Metal-Markt 2019 gesichert. Lokale Händler wie Christin Hesse, die bei „Battle Merchant“ im Wackener Industriegebiet unter anderem Met und Bier verkauft, sehen die Entwicklung kritisch. Sie fürchten Umsatzeinbußen.

Mitte Juli steht vom Supermarkt erst die Außenfassade. Von den Koppeln dröhnen Schlagbohrmaschinen, immer wieder fahren Lastwagen und Autos über die staubigen Zufahrtswege. In der Ferne sind weiße Pagoden und Zelte zu erkennen. Viel Zeit ist nicht mehr: Die ersten Fans ziehen bereits Ende Juli auf das Gelände. Hiersigs Ablaufplan: Erst müssen die Campingplätze fertig werden, dann die Vorplätze mit Biergarten, Mittelalter-Markt und Einkaufsmeile.

Mit einem Konzert der Wacken Firefighters stimmen sich die Fans und Bewohner bereits am Mittwochabend im Biergarten auf die kommenden Festival-Tage ein. Pünktlich um 14 Uhr öffnet dann am Donnerstag, 1. August 2019, das sogenannte Infield mit den Bühnen. Dann wird Wacken auch offiziell wieder das Epizentrum des Heavy Metal – jedenfalls für ein paar Tage im August.

Die lokale Feuerwehrkapelle der Gemeinde Wacken unter der Leitung von Stefan Bumann steht beim Wacken Open Air 2018 auf der Bühne.

Auch Thomas Jensen wird sich das Spektakel natürlich nicht entgehen lassen. „Heute kriege ich mehr vom Festival mit und kann mehr vor als hinter der Bühne stehen“, freut er sich. Jensens größter Wunsch wird sich jedoch nicht erfüllen: „Einmal noch Motörhead aufs Wacken holen, in Originalbesetzung mit Lemmy Kilmister, das wär’s.“ Der Sänger starb 2015. Was nie zu Ende geht, ist für Jensen aber auch klar: „Metal stirbt nie“, lautet einer seiner bekanntesten Sprüche. Wacken ist dafür bereit.

Texte: Julia Carstens, Kerstin Tietgen, Amina Linke
Videos: Kerstin Tietgen
Fotos: Jördis Früchtenicht und dpa
Konzept: Julia Carstens