Gesichter der Digitalisierung

Von der Lochkarte bis zum iPhone: Der digitale Wandel begleitet Schleswig-Holsteiner seit vielen Jahren. Aber wie kam es zu dieser Entwicklung und welche Bedeutung wird die Digitaliserung in Zukunft haben? In einem dreiteiligen Multimediadossier greifen wir unter anderem diese Fragen auf.

Teil 1: Als die Daten laufen lernten Hildegard Egge berichtet von ihrer Arbeit im Rechenzentrum

Wenn Hildegard Egge (68) von der Digitalisierung erzählt – so wie sie sie erlebt hat bei den Kieler Unternehmen Hell und MaK – dann zeigt sie Besuchern den Kartenstapel bei sich im Arbeitszimmer. Ideal als Notizblock. Oder als Daumenkino. Doch was Frau Egge in der Hand hält, war einmal Schlüsselmedium der elektronischen Datenverarbeitung, Grundnahrungsmittel für schrankwand-große Rechner von IBM oder Nixdorf.

Als die ersten Computer entwickelt wurden, boten sich Lochkarten an als Medium zur Programmeingabe und Datenspeicherung: einfach, schnell, zuverlässig. Mit Stanzmöglichkeiten in 80 Spalten und zwölf Zeilen hatte eine Lochkarte ein Datenfassungsvermögen von 80 Byte. Der Inhalt einer Million Lochkarten füllte damit eine 80-MB-Festplatte – eine in den 1970er-Jahren übliche Größenordnung auf Großrechnern. Heute? Ein Witz von Datenvolumen.

Und dann waren die Daten weg…

Wenn Preisänderungen am Nixdorf-Fakturierrechner eingepflegt werden mussten, ging das nur über den Zwischenschritt Lochkarte, sagt Hildegard Egge. Aber nicht zu viele auf einmal, sonst reichte der Zwischenspeicher nicht und die Daten waren weg. Das Rechenergebnis wurde auf Endlos-Papierbahnen gedruckt und zur Weiterverarbeitung an die zuständigen Abteilungen geschickt. Weiteres Speichermedium waren Magnetplatten, die aussahen wie Transportbehälter für Sahnetorten.

Gelernt hat Hildegard Egge Einzelhandelskauffrau: „Aber Technik hat mich schon immer fasziniert.“ Diese Begeisterung, gepaart mit gesundem Durchsetzungsvermögen, ebneten der Frau aus Panker (Kreis Plön) den Weg: Aus der Mitarbeiterin im „Bestellbüro“ des Druckmaschinenherstellers Hell wurde eine der ersten weiblichen Maschinenbediener in einem Rechenzentrum. Weil die auch Operator heißen, nannten die Herren Kollegen Frau Egge gerne Operateuse: „Aber das war nie böse gemeint.“

Eine Zeitreise zu den Anfängen

Wenn Hildegard Egge von ihrem Berufsweg erzählt, ist das eine Zeitreise, die Anfang der 70er-Jahre beginnt, und über der der Titel stehen könnte: „Als die Daten laufen lernten.“ Die Reise führt von der Karteikarte zur Erfassung von Lagervorräten oder Lohndaten über Lochkarten und Stanzgeräte bis zu Magnetplattenspeichern und Modems. Letztere ermöglichten Netzwerke und damit eine vollautomatische Datenverarbeitung. Bevor es sie gab, mussten Daten auf Bergen von Papier hin und her getragen werden.

Ergebnis-Listen füllten Kisten und Massen von Magnetbändern. Jede Entnahme von Lagervorräten, jede Änderung von Kundenstammdaten, jede Preisänderung musste manuell erfasst und eingegeben werden. Das Ergebnis jeder Buchung war eine Lochkarte, erzeugt von den „Locherinnen“ an laut ratternden Stanzgeräten. Mussten Teile bestellt werden, ging das anfangs auch nicht automatisch – jeder Vorgang musste per Hand ausgelöst werden. „Ohne den Menschen als Zuarbeiter konnten die Maschinen ihren Job nicht machen“, sagt Egge.

Den rasanten Fortschritt der EDV und schließlich das Ende der Lochkarte erlebte sie ab Ende der 70er-Jahre nach ihrem Wechsel zum Kieler Motoren-, Panzer- und Lokomotivenbauer Krupp MaK. Anfang der 80er-Jahre verschwand die Pappe, der Datentransfer erfolgte nur noch über Magnetbänder. Doch auch dann brauchten die Rechner klare Anweisungen, was sie wann und in welcher Reihenfolge zu rechnen hatten. Künstliche Intelligenz? Zukunftsmusik.

Digitalisierungsschub erleichterte die Arbeit

Nachdem der technische Fortschritt sich lange vor allem in Form immer größerer Kapazität der Speichermedien und immer höherer Rechengeschwindigkeit niederschlug, erlebte Hildegard Egge im Rechenzentrum von MaK einen Digitalisierungsschub, der ihre Arbeit erheblich erleichterte: Mitte der 80er-Jahre bekamen sie und ihre Kollegen einen Samsonite-Koffer mit nach Hause, in dem das steckte, was man schon Laptop nennen konnte.

Über eine eigens von der Post installierte Leitung konnte sie sich damit in das Rechenzentrum einloggen und am Schirm kontrollieren, ob die Maschinen ihre Jobs so rechneten, wie man es von Ihnen erwartete: Lohnabrechnungen machen, Bestellungen abwickeln, Vorratsdaten aktualisieren, Preisänderungen einpflegen. Wenn etwas hakte, dann ließ sich das in vielen Fällen von zu Hause bereinigen: „Nicht mehr gleich bei jeder Störung von Panker nach Kiel fahren müssen, das war eine große Erleichterung vor allem in der Wochenendbereitschaft.“ Doch durch die fortschreitende Digitalisierung brauchte man auch weniger Personal, und so fielen auch Arbeitsplätze im Rechenzentrum weg.

Deutlich einschneidender jedoch waren die Jobverluste in der Produktion: Computergestützte Werkzeugmaschinen und Lackieranlagen machten Menschen in ganzen Abteilungen nahezu überflüssig. Als gewerkschaftlich engagierter Mensch kämpfte Hildegard Egge für den Erhalt von Arbeitsplätzen: „Damals war für uns klar: Wenn die Maschinen menschliche Arbeit ersetzen, dann müssen auch eine Maschinensteuer und Arbeitszeitverkürzung her.“

"Ich habe ein Handy und finde E-Mail klasse, aber das war es dann auch." Hildegard Egge

Anfang der 90er-Jahre traf der Wandel auch Hildegard Egge und ihre EDV-Kollegen und Kolleginnen. MaK verlagerte sein Rechenzentrum nach Dortmund. „Aber keiner von uns verlor den Arbeitsplatz, alle bekamen andere Aufgaben.“ Die „Operateuse“ von damals weiß, dass die Welle der Digitalisierung, die sie miterlebt hat, nicht mit dem zu vergleichen ist, was heute passiert. Künstliche Intelligenz? Big Data?

„Da bin ich raus. Ich habe ein Handy und finde E-Mail klasse, aber das war es dann auch. “ Damals hätten die Veränderungen die Arbeitswelt verändert. „Heute erleben wir einen rasanten Wandel in allen Lebensbereichen.“ Aufhalten lasse sich die Digitalisierung heute so wenig wie damals: „Wir müssen sie positiv gestalten, so gut es geht“, sagt Hildegard Egge und lässt den Stapel Lochkarten am Daumen vorbeirauschen.

Text: Ulrich Metschies; Video/Zeitstrahl : Kerstin Tietgen, Beitragsbilder von: Ulf Dahl, Thomas Eisenkrätzer und Andreas Tillmanns

Teil 2: Digitales Arbeiten bei Raytheon Anschütz Frank Otto zeigt, wie Digitalisierung heute aussieht

Vollbart, freundliches Lächeln, wacher Blick: Frank Otto (51) kommt sympathisch rüber. Als er 1984 bei Anschütz in Kiel seine Ausbildung zum Nachrichtengerätemechaniker und Informationselektroniker begann, brachte Apple gerade den Macintosh auf den Markt. Für Azubi Otto reichte es nur für einen C64. Seit damals hat sich viel getan: Apple wurde zur digitalen Supermacht. Otto arbeitet sich voran zum System-Ingenieur für Ruderansteuerungsanlagen und ist heute Betriebsratsvorsitzender eines Unternehmens, das sich ständig neu erfinden muss. Stillstand war schon in der analogen Welt lebensgefährlich. Im Digitalzeitalter ist er tödlich.

Es gibt eine analoge Insel beim Marktführer für Schiffsnavigationssysteme: die Kantine. „Es ist schön, sich hier zu treffen und zu schnacken“, sagt Frank Otto. Das Smartphone haben die Kollegen stumm geschaltet, und wenn doch mal eins klingelt, geht man nicht ran. Jetzt ist schließlich Pause. Die braucht man ja auch, wenn das Tempo immer weiter anzieht. „Die Arbeit ist schneller geworden, und die persönliche Kommunikation hat sich zum Teil deutlich vermindert“, sagt Otto: „Man hat oftmals nicht mehr den direkten Kontakt zu seinen Kollegen.“ Umso wertvoller sind die Zeiten jenseits von Laptop, Mail oder Videokonferenz. Wenn man sich persönlich begegnen kann und die Frage „Wie geht’s?“ mehr als eine Floskel ist.

Als er vor zehn Jahren Entwicklungsingenieur wurde, da hatte die Arbeit noch viel mit Papier zu tun. Etliche Aktenordner hat Otto von seinem Vorgänger übernommen. Keinen einzigen legte er neu an. Ist das Arbeiten besser geworden? Otto lächelt: „Anders.“ Schneller, komplexer, manches auch einfacher. Aber auch stärker fremdbestimmt: „Früher hat man sich einen Kopf gemacht, musste sich einen Plan überlegen. Heute steckt man in Prozessen, die in digitalen Anwendungen abgebildet werden.“ Manchmal fragt sich Otto: „Werde ich von der Maschine gesteuert?“

"Wir befinden uns auf einem Weg, an dessen Ende die autonome Schifffahrt steht." Lüder Hogrefe

Geschäftsführer von Raytheon Anschütz ist Lüder Hogrefe (63): „Natürlich digitalisieren wir unsere Fertigung“, sagt er. „Aber Industrie 4.0 ist für uns nicht das Top-Thema.“ Vollautomatische Prozesse in der Fertigung seien relevant für große Stückzahlen. „Wir sehen uns eher als Manufaktur. Wenn wir 2000 Kreisel-Kompasse im Jahr bauen, dann ist das viel.“ Für Raytheon Anschütz zählt vielmehr: Was verändert Digitalisierung bei den Kunden? Big Data und künstliche Intelligenz spielen eine wachsende Rolle in der Schifffahrt. Die Brücke verteilt permanent Daten – nicht nur für die Navigation, sondern auch für die Steuerung von Motoren und Ruder. Technik aus Kiel verbindet das Schiff mit seiner Basisstation. Unter Hochdruck treiben die Reedereien die Digitalisierung ihrer Flotten voran. Hogrefe: „Wir befinden uns auf einem Weg, an dessen Ende die autonome Schifffahrt steht.“

Auch im Service-Geschäft spielt die Digitalisierung eine große Rolle: „In Zukunft wird es bei uns keinen Sensor geben, der nicht netzwerkfähig ist“, sagt Hogrefe. So lässt sich per Fernüberwachung feststellen, dass Teile ausgetauscht werden sollten – längst bevor sie kaputt gehen. Vor fünf Jahren fuhr auf einem Schiff noch eine große Anzahl Ersatzteile mit und ein fähiger Leitender Ingenieur. Der sitzt heute oft in der Zentrale und unterstützt online einen weniger teuren Kollegen an Bord.

Die Mitarbeiterzahlen sind stabil

Digitalisierung als Job-Killer? Das sehen weder Otto noch Hogrefe so. „Wir sind seit Jahren stabil bei 550 Mitarbeitern“, sagt der Geschäftsführer. Was sich verändere, sei die Qualifikation im Unternehmen. Sie gehe nach oben. „Für uns als deutscher Standort ist das eine Chance“, sagt auch der Betriebsratsvorsitzende.

Der digitale Wandel erfordert auch eine frischere Art der Ideen-Gewinnung. Doch wie fördert man Start-up-Stimmung in einem etablierten Unternehmen? Raytheon Anschütz setzt auf das „Randock“ – eine interne Innovationsschmiede, die ein bisschen so funktioniert wie das TV-Format „Höhle der Löwen“: In Räumen mit Lounge-Atmosphäre kann jeder Mitarbeiter seine Idee einer Jury vorstellen, in der alle Mitglieder das gleiche Stimmrecht haben – egal ob Führungskraft oder Azubi. Das Konzept scheint aufzugehen: Vier von zunächst 15 Ideen sollen bis zur Marktreife gebracht werden.

Doch der rasante Wandel hat auch schmerzliche Folgen: „Wir mussten festgestellt, dass wir zunehmende Ausfälle haben – verursacht durch eine zu hohe psychische Belastung“, berichtet Hogrefe. Das Unternehmen appelliere an seine Mitarbeiter, „von ständiger Erreichbarkeit Abstand zu nehmen“. Wenn das nicht funktioniert, wird auch schon mal ein Diensthandy einkassiert.

Text: Ulrich Metschies; Video: Kerstin Tietgen, Beitragsbild: Thomas Eisenkrätzer

Die Kehrseite der Digitalisierung Welche Berufe sind bedroht?

„Digitalisierung“ – das Wort verkündet Fortschritt und Modernisierung. Doch der Fortschritt bedroht auch die Existenz vieler Berufsgruppen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit hat 4000 Berufsprofile des Portals Berufenet unter die Lupe genommen. Analysiert wurden Aufgaben, die zwar zu den Anforderungen eines Berufes gehören, heutzutage jedoch „vollumfänglich automatisch durch Computer oder computergesteuerte Maschinen ausgeführt werden können“.

Ersetzungsrisiko ist gestiegen

Die Studie – erstmals im Zeitraum 2013 bis 2015 erhoben – wurde 2016 aktualisiert und deren Ergebnisse nun veröffentlicht. Bereits in dieser kurzen Zeit lässt sich erkennen, dass in fast allen Berufsbereichen das Ersetzungsrisiko – von der IAB mit „Substituierbarkeitspotenzial“ betitelt – gestiegen ist.

Das liegt vor allem daran, dass zwischen 2013 und 2016 weitere technische Entwicklungen und Programme marktreif geworden sind, die Aufgaben von Menschen übernehmen können. In Schleswig-Holstein liegt das höchste Substituierbarkeitspotenzial in der Gruppe der Fertigungsberufe.

Der größte Anstieg des Ersetzungsrisikos liegt im Vergleich zur Vorstudie in den unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen, wie etwa externe Steuerberatung. Das Potenzial für einen digitalen Ersatz ist hier um über 24 Prozentpunkte auf knapp 64 Prozent gewachsen. Dieser Trend geht vor allem auf marktreif gewordene Software-Anwendungen zurück, die gesetzliche Regelungen oder Vorschriften in teils selbstlernende Computerprogramme übersetzen können. Einen ebenfalls hohen Anstieg von rund 20 Prozentpunkten verzeichnen die Verkehrs- und Logistikberufe. Dort liegt das Risiko, von der Technik ersetzt zu werden, bei fast 55 Prozent. Inzwischen können im Logistikbereich nahezu alle Tätigkeiten rund um den Material- und Warenfluss von Robotern automatisch erledigt werden.

Experten können am schlechtesten ersetzt werden

Besonders eindrücklich zeigt die IAB-Studie anhand der Qualifikationen der Arbeitnehmer, wer am ehesten seinen Job durch digitalen Wandel verlieren könnte: Bei Helferberufen sind es 53,3 Prozent, bei Fachkraftberufen – dazu zählt die Studie eine mindestens zweijährige Berufsausbildung oder einen Abschluss an einer Berufsschule – 51,2 Prozent. Expertenberufe (mindestens vierjähriges, abgeschlossenes Hochschulstudium) kommen auf 23,5 Prozent. Das heißt im Klartext: Je höher die Berufsqualifikation, desto schwieriger ist es, menschliche Arbeit zu ersetzen.

Eine Umfrage der „Innovation Alliance“, einem Verbund von Vertretern aus der IT-Branche, hat 500 Mittelständler befragt, wie sich Digitalisierung im Unternehmensalltag anfühlt. Knapp die Hälfte der Befragten sieht demnach den digitalen Wandel als „Wagnis“, und nahezu jeder Dritte verbindet damit negative Gefühle wie Angst oder Einsamkeit. Generell gilt aber für 75 Prozent: Digitalisierung ist eine „rationale Pflichtveranstaltung“ und muss sein.

Text: Laura Treffenfeldt, Video: Kerstin Tietgen, Beitragsfoto: Foto: Christian Charisius/dpa

Teil 3: Wie arbeiten wir morgen? Philipp Riederle erklärt, wie sich Chefs und Mitarbeiter wappnen müssen

Die Digitalisierung macht den Menschen überflüssig. Spätestens in 200 Jahren übernehmen die Roboter die Regie, weil sie fast alles besser können: arbeiten, lernen, kontrollieren, koordinieren, managen – praktisch fehlerfrei und ohne störende Emotionen. Das zumindest schreibt der israelische Zukunftsforscher Yuval Noah Harari in seinem Buch „Homo Deus“. Seine These: Maschinen werden irgendwann so schlau sein, dass sie den Menschen nicht mehr brauchen. Harari sieht sein Buch über den gottähnlichen Menschen als Anstoß, um „fantasievoller als bisher über unsere Zukunft nachzudenken“.

Fantasievolles Nachdenken findet auch Claudia Buengeler (37) wichtig. Doch die Professorin für Betriebswirtschaft an der Uni Kiel, spezialisiert auf Personalwesen und die Psychologie von Organisationen, sieht keinen Grund für digitale Horrorszenarien: „Ja, mit Automatisierung, Robotik und künstlicher Intelligenz werden einige Tätigkeiten obsolet. Das muss aber keine Bedrohung sein.“ Wer Angst davor habe, dass Roboter uns arbeitslos machen, sagt die Wissenschaftlerin, der gehe von einem starren Menschenbild aus. „Doch auch wir werden uns verändern.“ Und so könne man von der Digitalisierung sogar neue Jobs erwarten, etwa in den Bereichen, die in irgendeiner Form mit der Entwicklung, der Anwendung und dem Management der neuen Technologien zu tun haben. Auch strategisches Planen und das Managen von Innovationen und Veränderungsprozessen sieht die Professorin als menschliche Domäne. Schließlich bringen die neuen Technologien ja auch Risiken mit sich: „Daher wird die Fähigkeit zu führen künftig eher noch wichtiger sein als heute.“

"Nicht wir arbeiten für unsere Chefs, sondern die Chefs arbeiten für uns." Philipp Riederle

Auch Philipp Riederle (24) glaubt an die Zukunft des Menschen. Und daran, dass die Wirtschaft auch künftig Personal aus Fleisch und Blut benötigen wird: „Entscheidend ist, dass Mitarbeiter und Führungskräfte auch die Fähigkeiten haben, mit digitalen Werkzeugen und Prozessen umzugehen“, sagt der Ex-Youtuber („Mein iPhone und ich“), und Buchautor, der zu den gefragtesten Digitalisierungsberatern Deutschlands gehört. Eine Konsequenz des rasanten Wandels beschreibt Riederle so: „Wenn alle einfachen und sich wiederholenden Tätigkeiten wegfallen, gibt es immer weniger Mitarbeiter, die einfach nur nachmachen, was Führungskräfte vorgemacht haben.“ Das heißt: Führungskräfte haben keine Mitarbeiter mehr, die dümmer sind als sie selbst. So müssten auch Vorgesetzte ihre Rolle neu lernen: Führungskräfte müssten eher wie ein Trainer am Rand stehen, empathisch coachen und vielleicht mal einen Konflikt lösen: „Nicht wir arbeiten für unsere Chefs, sondern die Chefs arbeiten für uns.“ So sehe es seine Generation.

Chancen sind höher als Risiken

Zeit, Ort, Geld: Die Rahmenbedingungen von Arbeit werden sich nach Einschätzung Riederles radikal wandeln: „Niemand kann unserer Generation weismachen, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sein müssen, wenn die Tätigkeit das nicht zwingend erforderlich macht.“ Das heiße auch: „Ein Chef muss über Distanz führen können. Genauso benötigen Mitarbeiter ganz andere Fähigkeiten zur Selbstführung und Zeiteinteilung.“

Beide, der Unternehmensberater und die Professorin, bewerten die Chancen der Digitalisierung im Arbeitsleben eindeutig höher als die Risiken: „Den Menschen aus Tätigkeiten herauszunehmen, für die er eigentlich gar nicht geschaffen ist, Tätigkeiten, die ihn verschleißen, durch ständige Wiederholung, körperliche Anstrengung oder starke Monotonie etwa – darin sehe ich eine große Chance“, sagt Buengeler. Robotik und künstliche Intelligenz könnten etwa in der Pflege Tätigkeiten übernehmen, die für den Menschen völlig überlastend seien. Klar ist aber auch: Der Paketbote, der seinen Job an eine Drohne verliert, muss in der digitalen Welt erst mal eine Perspektive finden, genauso wie Taxi- und Busfahrer, die irgendwann niemand mehr braucht, weil uns der autonom fahrende ÖPNV von der Kneipe abholt.

Unternehmen stehen in der Verantwortung

Trotz solcher Szenarien sehen auch die Gewerkschaften die Digitalisierung vor allem als Chance: „Voraussetzung ist, dass wir die Herausforderung gemeinsam anpacken“, sagt Stephanie Schmoliner, Geschäftsführerin der IG Metall Kiel-Neumünster. Qualifizierung der Menschen sei der entscheidende Schlüssel, um die Machtübernahme der Roboter zu verhindern: „Da stehen die Unternehmen in der Verantwortung – auch wenn es um die Kosten geht.“

„Ob auf individueller Ebene oder im Team: Permanentes Lernen sollte in der DNA des Unternehmens verankert sein“, sagt Prof Buengeler. Und wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „Jobcrafting“ betreiben – also die Gestaltung des eigenen Jobs mit Blick auf den rasanten Wandel – „dann sollten Unternehmen das nicht nur tolerieren, sondern aktiv fördern“.

Doch viel Zeit bleibt nicht: „Das Ganze passiert sehr viel schneller als in vergangenen Automatisierungswellen“, sagt Riederle: „Ich rechne mit massiven Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt. Darüber hat sich die Politik bislang zu wenig Gedanken gemacht.“ So trage das deutsche Bildungssystem den Herausforderungen der Digitalisierung bislang „nicht annähernd Rechnung“.

Die Zukunft steht in den Startlöchern Das kommt auf uns zu

Hologramme, Magnet-Schwebebahnen und Organe aus dem 3-D-Drucker – diese Projekte könnten Realität werden

Veränderungen waren schon immer unaufhaltsam. So kann man die folgenden Projekte, die gerade noch in den Kinderschuhen stecken, mit Skepsis oder mit Vorfreude betrachten. Klar ist jedoch, sie werden unser Leben verändern.

Medizin

Dass Patienten ihre Herzschrittmacher-Daten per App auf dem Smartphone einsehen können, ist schon Realität. Und die Medizin wird weiter digitalisiert. An künstlichen Organen aus dem 3-D-Drucker wird bereits geforscht.

Hologramme

Womöglich werden in einigen Jahren Hologramme massentauglich werden. Ob als Professor-Version im Hörsaal, Sporttrainer im Fitnessstudio oder aus dem Display des eigenen Smartphones heraus. An der Brigham Young University in Utah haben Forscher eine Technologie entwickelt, mit der das Erstellen von 3-D-Hologrammen in der Luft möglich sein soll.

Digitale Zwillinge

Ein digitaler Zwilling ist das virtuelle Gegenstück zu einem materiellen oder immateriellen Ding und dessen Datenaustausch. So können beispielsweise bei dem digitalen Zwilling eines neuen Autos, der alle Daten des analogen Exemplars aufweist, schon im Vorfeld Szenarien durchgespielt und Probleme erkannt und beseitigt werden. Es gibt Versuche, den digitalen Zwilling eines Menschen zu entwickeln. Unmengen an Daten, das komplette Genom, müssen dafür zusammengetragen werden. Dann könnte in Zukunft jeder seinen virtuellen Avatar zum Arzt schicken, der dann eine ganz individuelle Behandlung per Simulation anpassen kann. Oder aber der digitale Zwilling geht für das analoge Ich shoppen, denn er kann dem Schneider mehr Maße liefern als dieser je benötigt.

Verkehr

Schwebebahnen und -kapseln haben das Zeug dazu, in Zukunft die Menschen zu befördern. Sky Tran ist ein Modell beruhend auf Nasa-Technologie, welches als Netzwerk von computergesteuerten Zwei-Mann-Fahrzeugen funktioniert. Die Magnetschwebetechnik wird dabei mit einer Ultraleichtbauweise verbunden. Dank dieser Technologie verbrauchen die Kapseln der Sky Tran nur so viel Energie wie zwei Haarföhne. In der israelischen Stadt Netanja soll nun eine der ersten Sky Trans gebaut werden. Laut israelischer Medien können die Kapseln ein Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Stunde erreichen und sollen den Straßenverkehr entlasten.

Text: Laura Treffenfeldt, Beitragsfoto: Frank Peter