Umbruch auf dem Acker: Wie Landwirte in Schleswig-Holstein neue Wege gehen

Kieler Nachrichten

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Massentierhaltung, Pestizide, Monokulturen – die Landwirtschaft steht oft in der Kritik. Doch es geht auch anders. Fünf Projekte aus Schleswig-Holstein zeigen, wie junge Landwirte Geld verdienen, indem sie auf nachhaltigen Anbau, hohe Tierwohlstandards und digitale Helfer setzen.

Anteil der Lebensmittel-Ausgaben privater Haushalte am Einkommen

Schleswig-Holstein ist von Landwirtschaft geprägt. Mit 990.403 Hektar werden 63 Prozent der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt – im Bundesdurchschnitt sind es nur 47 Prozent. Doch der Agrarsektor steht unter Druck. Das Verhältnis der Menschen zu ihren Nahrungsmitteln hat sich verändert. 

Mais wird häufig in Monokultur angebaut.

In der Nachkriegszeit mussten Familien einen Großteil ihres Einkommens für Essen ausgeben, mit der Zeit sind Lebensmittel aber immer günstiger geworden. Gleichzeitig ist Nahrung längst zum Lifestyle geworden. Essen soll ein gutes Gewissen schaffen, gesund und nachhaltig sein.

Passt zum Zeitgeist: Konsumenten protestieren gegen Massentierhaltung.

Auf der einen Seite erhalten Landwirte vom Markt nur Centbeträge für ihre Produkte, auf der anderen Seite wird von ihnen eine umweltschonende Lebensmittelproduktion erwartet, bei der auch das Wohl der Nutztiere beachtet wird.

Exkurs: Das sagen Interessenverbände und Politiker zur Landwirtschaft in Schleswig-Holstein

Wie Landwirte mit diesen herausfordernden Voraussetzungen umgehen, zeigen fünf Beispiele aus Schleswig-Holstein: Es sind Projekte für die Artenvielfalt, für regionale Produkte oder für Schweine, die länger am Leben gelassen werden als üblicherweise. Es geht aber auch um die Nutzung des Internets – im Kuhstall und beim Verkauf frischer Lebensmittel. Können solche Projekte ein Vorbild für die Agrar-Branche sein?

Das Tier hinter dem Fleisch

Das Tier hinter dem Fleisch

May-Britt Wilkens hatte „die Nase“ voll von der vorherrschenden Tierhaltung – und gründete 2016 kurzerhand das Start-up Besserfleisch. Darüber vertreibt die 33-jährige Hamburgerin Rind-, Lamm- und Schweinefleisch von Bauern aus Schleswig-Holstein, die bei ihren Tieren auf deutlich höheren Tierwohl-Standards setztenAMP – wie mehr Platz im Stall, Leben auf der Weide und langsameres Wachstum.

Zudem garantiert sie, dass bei den Tieren keine präventiven Medikamente zum Einsatz kommen. „Ich wollte beim Fleisch einfach ganz genau wissen, welches Tier von welchem Bauern ich kaufe, ohne für jedes Stück auf den Hof fahren zu müssen“, sagt Wilkens.

May-Britt Wilkens, Gründerin des Startups Besserfleisch

Die Dimension ihres Geschäfts ist überschaubar – sie hat zwei Mitarbeiter und zwei Pack-Helfer, kooperiert mit fünf Höfen, die ihr Rindfleisch liefern (Hofgemeinschaft Weide-Hardebek, Hof Himp, NABU Wallnau, Landschaftspflegehof Behrens, Landschaftspflegehof Beild) und einem Hof, der Schweinefleisch liefert (Hof Ostermühlen). Alle Höfe liegen in Schleswig-Holstein. 

Verkauft, beziehungsweise online angeboten, wird nur dann etwas, wenn ein Tier geschlachtet wird. Bei den Schweinen ist das zehn bis 13 Monaten nach der Geburt. Die Schweine vom Hof Ostermühlender Sorte Angler Sattelschwein – sind die einzigen Schweine im Angebot von Besserfleisch. Bei der Fleischerei Fritze in Kalübbe werden sie mittels Elektrozange getötet. Sie verbringen vorab eine Nacht dort, um sich von der Fahrt zu erholen.

Die Ware kommt als Fünf-Kilo-Paket

Ein paar Mal im Monat ist dann für Wilkens Packtag – ebenfalls in der Schlachterei Fritze. Rund 200 Pakete à fünf Kilo Fleisch verschickt sie pro Monat. „Die Großindustrie lacht sicher müde über solche Mengen, aber für uns ist das genug Arbeit“, sagt Wilkens. In Großbetrieben werde zudem manchmal noch mehr vom Tier verarbeitet – etwa Blut, Knochen und Innereien.

„Unser Kerngeschäft ist die gute Tierhaltung. Aber auch wir versuchen, besonders viel zu verwerten.“ Knochen zu verschicken sei leider keine Option, da diese die Verpackung zerstechen würden. „Aber damit die Knochen nicht verschwendet werden, kocht unser Schlachter daraus Brühe. Jeder Kunde bekommt dann davon ein Glas mit ins Paket.“

In der Schlachterei Fritze in Kalübbe packt und verschickt May-Britt Wilkens rund 200 Pakete Fleisch im Monat.

Quiz: Wie gut kennen Sie sich mit Lebensmittellabeln aus?

Rentabilität durch viele Standbeine

Auf dem Hof Ostermühlen in Beringstedt leben alle Tiere nach den Besserfleisch-Standards. Es wird vor Ort schnell ersichtlich, dass die Tiere angemessen viel Platz haben und sich ihr Dasein nicht nur auf den Stall beschränkt. 120 Schweine leben auf dem Hof. Das sind nicht viele, verglichen mit der durchschnittlichen Anzahl von 1745 Tieren, die in Schleswig-Holsteinischen Schweinebetrieben gehalten werden.

Die ersten acht Lebenswochen verbringen die Ostermühlen-Schweine in einem 23 Quadratmeter großen Stall samt Außenbereich. Danach kommen sie auf die Weide und leben dort gut ein Jahr lang – das ist mehr als doppelt so lange wie in den meisten Massenbetrieben, in denen die Tiere nach rund 120 Tagen geschlachtet werden. Insgesamt gibt es in Schleswig-Holstein rund 800 Schweinebetriebe, 700 davon halten Mastschweine.

Das Ostermühlen-Geschäft rentiert sich trotz der wenigen Schweine, weil die Gesamteinnahmen aus vielen unterschiedlichen Bereichen zusammenkommen – vom Verkauf der Mastschweine über Geflügel und Forellen hin zu Forstwirtschaft, Mieteinnahmen und Stromerzeugung durch das hofeigene Wasserrad. Jedes Standbein bringt etwas Geld ein oder spart den Zukauf, wie im Fall der Stromerzeugung. Allein mit den Schweinen ließe sich nicht genug verdienen – dazu ist die Anzahl der Tiere zu gering.

Hohe Tierschutzstandards fordern Platz

„Unser Geschäft würde sich allein mit den Schweinen nicht rechnen“, sagt Jan Tillmann, Geschäftsführer vom Hof Ostermühlen. „Da wir mit unseren Standards in der Tierhaltung nicht runtergehen wollen, können wir unsere Kapazitäten nicht erhöhen. Im Gegenteil, wir wollen zukünftig statt 80 bis 100 Schweinen im Jahr lieber nur 70 bis 80 Schweine schlachten.“

Für mehr Tiere sei nicht angemessen genug Platz. „Wenn ich jetzt mehrere tausend Schweine in Weidelandhaltung halten wollen würde, müsste ich ganz Schleswig-Holstein einzäunen – das ist natürlich nicht realistisch.“

Jan Tillmann, Geschaftsführer auf dem Hof Ostermühlen in Beringstedt

Seine Tiere seien gesund, würden ihr ganzes Leben zusammen als Gruppe mit ihren Geschwistern verbringen und hätten Zeit, in Ruhe zu wachsen. „Würden wir ein Schwein aus der Massentierhaltung hier über unsere Wiese rennen lassen, würde es wahrscheinlich Probleme mit dem Herzen bekommen, weil es gar nicht mehr an die Bewegung gewöhnt ist. Unsere Angler Sattelschweine wachsen hingegen natürlicher auf.“

Die Schweine seien zudem eine ursprünglich norddeutsche Rasse und damit auch gut an die Bedingungen in Schleswig-Holstein angepasst, so Tillmann.

Auf Hof Ostermühlen leben die Ferkel anfangs acht Wochen lang bei ihren Muttersauen auf Stroh.

Längeres Wachstum bedeutet teureres Fleisch

Beim Hof Ostermühlen sind eine Handvoll Bauern direkt angestellt. Sie bekommen vom Hof pro Kilo Schweinefleisch sechs Euro. „Der erhöhte Preis ist bedingt durch die längere Lebenszeit der Schweine und der geringeren Standardisierung bei der Tierhaltung“, sagt Tillmann.

Video: Der Hof Ostermühlen

Zum Vergleich: Fleisch aus der Massentierhaltung bringe den Landwirten im Schnitt nur 1,60 Euro pro Kilo ein. Das Fleisch vom Hof Ostermühlen wird zum großen Teil direktvermarktet – zehn Prozent der Schweine werden aber bei May-Britt Wilkens über Besserfleisch vertrieben.

Ein Acker – geteiltes Risiko

Ein Acker – geteiltes Risiko

Auberginen, Staudensellerie, Tomaten und dazwischen eine Reihe von Ringelblumen, in denen es vor Hummeln und Bienen nur so surrt – „Arbeiten im Blumenstrauß“, wie Gemüsebauer Dieter Panesegrau es nennt. „Die Ringelblumen blühen früh und bieten mit ihren Blättern eine gute Nahrungsgrundlage für Läuse“, erzählt Pansegrau. „Die wiederum dienen als Futter für andere Insekten, die sich hier breit machen und das Bestäuben der Tomatenpflanzen übernehmen.“

Dieter Pansegrau, Gemüsebauer bei der Solidarischen Landwirtschaft "Schindele Höfe"

Seit 1987 betreibt der Landwirt auf dem Wurzelhof in Schinkel auf einer Freilandfläche von gut zehn Hektar ökologischen Landbau ganz ohne Dünger. In seinen unbeheizten Folienhäusern wachsen neben jeder Menge Salat, Tomaten, Wurzeln, Paprika und Zwiebeln seit Neuestem sogar Wassermelonen.

Die Hälfte von Pansegraus Ernte geht an die Mitglieder der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) „Schinkeler Höfe“, die sich 2015 gegründet hat, um Verbraucher abseits des globalen Weltmarktes mit naturbelassenen, frischen Nahrungsmitteln aus der Umgebung zu versorgen.

Durch die Solawi können Bauern unabhängig von Subventionen und Weltmarktpreisen wirtschaften

Grundlage der solidarischen Landwirtschaft ist eine jährliche Vereinbarung zwischen Erzeugern und Verbrauchern. In ihr wird festgelegt, dass der Hof einen bestimmten Teil der Ernte an die Gemeinschaft abgibt, wenn im Gegenzug dafür die Kosten und das Risiko der Produktion unter allen Beteiligten aufgeteilt werden. Knapp 300.000 Euro flossen somit im Jahr 2018 an die Landwirte der Solawi.

Auf diese Weise wird nicht nur das einzelne Lebensmittel, sondern die gesamte Landwirtschaft finanziert. Dadurch können die einzelnen Bauern unabhängiger von äußeren Zwängen wie Subventionen und Weltmarktpreisen arbeiten.

„Die Solawistas bezahlen für eine andere Idee von Landwirtschaft“, erklärt Dieter Pansegrau. „Dafür setzen wir uns zusammen und entscheiden gemeinsam darüber, welcher Anbau perspektivisch sinnvoll ist.“

Um Insekten und andere Kleinstlebewesen mit Nahrung zu versorgen, pflanzt Dieter Pansegrau zwischen dem Gemüse auch Blumen an.

Bodenpflege statt Stickstoffdünger

Pansegrau beispielsweise legt großen Wert auf die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Um das zu erreichen, schwört der Landwirt auf eine flache Bearbeitung ohne Pflügen. Dabei lagern sich organische Substanzen oben ab und das Zusammenspiel der Lebewesen im Boden bleibt erhalten.

Um die Kleinstlebewesen, die unter anderem den Boden auflockern, mit ausreichend Nährstoffen zu versorgen, baut der Gemüsebauer Kleegras an, auf das rund die Hälfte seiner 16-jährigen Fruchtfolge entfällt. „Vielen Bauern dauert das zu lange, sie nutzen stattdessen externen Stickstoffdünger“, sagt Pansegrau, der dieses Vorgehen mit einer Ernährung auf Basis von Nahrungsergänzungsmitteln vergleicht. „Das ist verkürztes ökonomisches Denken – organische Prozesse haben ihren eigenen Rhythmus, so ein Bodenaufbau dauert.“

Überdurchschnittlich hohe Erträge durch Humus-Aufbau

Zwangsläufig teurer muss das zeitaufwändige Prinzip aus Sicht von Pansegrau aber nicht sein. Da der Humus-Anteil im Boden durch die „minimalinvasive“ Behandlung steigt, wird der Bio-Bauer für seinen unkonventionellen Ansatz mit hohen Erträgen belohnt und konnte bis auf zwei Wochen im Winter beispielsweise jede Woche Salat ernten.  

Trotz seines Erfolgs möchte Dieter Pansegrau andere Bauern nicht für den Einsatz von Düngern und Pflanzenschutzmittel verurteilen. „Das ist ein Systemfehler“, sagt der Bauer. Wenn sich wirklich etwas ändern soll, müsse aus seiner Sicht deshalb nicht nur der Einsatz von Pestiziden verboten werden, sondern die gesamte Agrarpolitik auf eine ökologisch verträgliche Landwirtschaft ausgerichtet werden.

Weniger Ausgaben für Vermarktung und Überproduktion

„Ohne die Solawi bist du abhängig und musst ständig in Vorleistung gehen“, so Pansegrau. „Wenn ich jetzt viel Salat ernte, dann verteile ich einfach sehr viel. Wenn die Ernte dagegen schlecht ist, bekommen alle mal ein bisschen weniger Salat. So kann ich verlässlich arbeiten und habe weniger Ausgaben für Vermarktung und Überproduktion.“

Neben dem Wurzelhof versorgen noch drei weitere Betriebe die Solawi mit frischen Lebensmitteln. Milch, Joghurt, Quark und Fleisch gibt es vom Hof Rzehak, der seit 1985 biologisch bewirtschaftet wird. Ziegenkäse und -fleisch, Eier, Hähnchenfleisch und Kartoffeln stammen vom Hof Mevs, wo darüber hinaus auch Getreide für die Bäckerei Kornkraft angebaut wird, die die Solawi mit Brot, Brötchen, Getreide und Kuchen versorgt.

Yannick Rzehak beliefert die Solawi mit Milchprodukten von seinem Biohof.
Im Depot holen die Mitglieder ihre Lebensmittel ab.

Ein Ernteanteil kostet inklusive Lieferung 165 Euro pro Monat

Die insgesamt 170 Ernteanteile zum Preis von je 165 Euro pro Monat werden einmal in der Woche an die Depots zwischen Kiel und Eckernförde ausgeliefert, wo sie an die Nutzer verteilt werden.

Eines dieser Depots befindet sich auf dem Grundstück von Wiebke Freudenberg, die zu den Initiatoren der Solawi gehört und von ihrer Garage aus die Altenholzer Anteilseigner mit frischen Lebensmitteln versorgt.

Kristina Griebner (links) und Solawi-Gründerin Wiebke Freudenberg im Depot Altenholz

„Wir wollten Bauern aus der Umgebung unterstützen“, erzählt die 59-Jährige. „Viele ökologische Betriebe mussten aufgeben, weil sie nicht mehr wirtschaftlich arbeiten konnten, dabei ist biologisches Land so kostbar.“

Dass auch anderen Menschen etwas daran liegt, das Ackerland in der Umgebung zu erhalten, zeigt ein Blick auf die Warteliste der Solawi. „Wir haben nie Werbung gemacht, aber trotzdem eine Nachfrage, die unser Angebot übersteigt“, erzählt Freudenberg, die dafür auch die aktuelle gesellschaftspolitische Situation verantwortlich macht. „Gerade junge Familien haben ein Bedürfnis nach guten Lebensmitteln und wollen die Höfe in der Umgebung unterstützen – die Fridays-for-Future-BewegungAMP sensibilisiert sicher noch mehr Menschen dafür.“

Wann ist Erntezeit? Der Saisonkalender zum Durchklicken

Wenn Produkte im jeweiligen Monat im Freiland wachsen, sind CO2-Ausstoß und Energieverbrauch sehr gering. Bei geringer bis mittlerer Klimabelastung wachsen die jeweiligen Produkte etwa unter Vlies, in schwach geheizten Gewächshäusern oder sind im gewählten Zeitraum nur als Lagerware erhältlich. Energieverbrauch und CO2-Ausstoß sind hier etwas höher als bei Freilandprodukten, aber sehr viel niedriger als bei Produkten aus geheizten Gewächshäusern.

Der Plastikverbrauch sinkt

Auch Christina Griebner bezieht ihre Lebensmittel schon seit einiger Zeit von der Solawi. „Mir ging es in erster Linie um die Qualität der Lebensmittel“, sagt die 55-Jährige, die sich den Anteil mit einer anderen Familie teilt. Mit ihrem halben Anteil versorgt sie sich und ihren 17-jährigen Sohn.

„Am Anfang hatte ich Sorge, dass die Lebensmittel nicht reichen und wir am Ende mehr Geld ausgeben müssen“, sagt Griebner. „Inzwischen habe ich eher das Problem, dass ich gar nicht weiß, was ich aus dem ganzen Gemüse kochen soll. Dazu kaufen muss ich kaum etwas. Dadurch ist auch unser Plastikverbrauch rapide gesunken.“

Aus Dieter Pansegraus Sicht ist die Solawi damit die einzige Landwirtschaftsform, die in Bezug auf Klimaschutz konsequent funktioniert. „Ich finde es immer wieder überraschend, wie gut unsere Veranstaltungen angenommen werden“, sagt der Gemüsebauer. „Auch unser Wochenmarktgeschäft steigt explosiv an. Es scheint, dass immer mehr Menschen klar wird, dass man selbst die Möglichkeit hat, etwas zu ändern. Ich habe die Hoffnung, dass sich da tatsächlich etwas tut.“

Vielen Dank für die Blumen!

Vielen Dank für die Blumen!

Es ist eine Geschichte mit Bienchen und Blümchen: Frank Thies, Milchvieh-Landwirt in Nützen (Kreis Segeberg), hatte im vergangenen Herbst eine Idee: Statt monoton-grünen Mais anzubauen, könne er Teile seiner Felder in blühende Landschaften verwandeln. „Den letztendlichen Ausschlag gab die Petition in Bayern, die Artenvielfalt zu erhöhen“, sagt Thies.

Gegen eine Pauschale für Saatgut und Flächenausgleich  könne man Pate für ein Stück Blühwiese werden.

Dabei muss eine Parzelle aber mindestens 100 Quadratmeter groß sein. Fast dreieinhalb Fußballfelder (25.000 Quadratmeter) Wildblumen blühen nun in der Nähe von Nützen und locken Honig- und Wildbienen sowie weitere Insekten an.

Im Frühjahr säte Frank Thies seine Blühwiese in Nützen aus - inzwischen kreucht und fleucht hier eine große, bunte Tier- und Pflanzenwelt.
Frank Thies, Milchvieh-Landwirt in Nützen

„Nach der Saat blieb die Fläche komplett sich selbst überlassen.“ Auch eine Bewässerung ist nicht angedacht. Gemäht wird erst zu Beginn des Winters – schon alleine wegen der vielen Wildtiere wie Hasen und Rehe, die sich im bunten Dickicht verstecken.

Bis dahin sei die Blühwiesen-Saat-Mischung so abgestimmt, dass das ganze Jahr hindurch immer wieder Blumen blühen, Bienen Nahrung liefern – und selbst abgestorbene Pflanzen Insekten Unterschlupf bieten. „Die Blühfläche wird weder gedüngt noch mit Pflanzenschutz behandelt“, so Thies.

Die Natur wird sich selbst überlassen

Auf der Wiese sammeln seitdem fleißige Bienchen Honig – ein Cousin von Landwirt Thies hat unmittelbar neben der Blühwiese einige Völker aufgestellt. „Die Idee der Blühwiese wollten in Schleswig-Holstein nur eine Handvoll Landwirte umsetzen“, sagt Thies. Das sei anders als etwa in Bayern, wo das Konzept schon weiter verbreitet sei. Aber unter dem Strich rechne sich die Blühwiese: Für 20 Cent pro Quadratmeter ließen sich die Patenschaften übernehmen.

Frank Thies freut sich über Bienenbesuch.

„Ich bekam schon wütende Anrufe aus Bayern“, sagt Thies. Dort werde für eine Blühpatenschaft mehr als das Doppelte genommen. Ihm aber gehe es auch um die Idee als solche. 

Als erstes blüht Gelber Senf auf der Wiese.

Die Blumenwiese von Frühjahr bis Sommer

„Nicht alle haben schließlich die Möglichkeit, in ihrem Garten oder auf ihrem Balkon etwas für Bienen vorzuhalten – und wir haben hier gleich eine große bunte Fläche.“ Im nächsten Jahr, so der 35-Jährige, werde es bestimmt wieder eine Blühwiese in Nützen geben, auf der Bienchen fleißig Honig sammeln.

Video: Blumenwiese statt Futtermais

WLAN im Kuhstall

WLAN im Kuhstall

Auf den ersten Blick wirkt der Milchbetrieb Gravert in Lindau wie ein ganz normaler Bauernhof. Gemeinsam mit seinem Bruder Arno bewirtschaftet Timo Gravert den Hof. Mit 280 Kühen gehört dieser schon zu den größeren in Schleswig-Holstein, sagt Gravert. 240 davon werden gemolken.

Alle zwei Tage kommt der Tanklaster und holt rund 17.000 Liter Milch ab, die an einen Kosmetikhersteller geliefert werden, der die Milch zu Milchpulver verarbeitet und für die Produktion nutzt.

Doch der Hof Gravert ist alles anders als gewöhnlich. Im Laufe der Zeit hat dort die Digitalisierung Einzug gehalten. „Hightech und der Dreck im Kuhstall – das wirkt erstmal widersprüchlich“, sagt Gravert. Beginnend mit der Biogasanlage im Jahr 2009 haben er und sein Bruder die technische Aufrüstung des Hofes immer weiter vorangetrieben.

Gemolken wird per Roboter

Herzstück des Hofes ist der automatische Melkstand. Seit 2015 werden im Stall zwei Roboter eingesetzt. Den Apparat betreten die Kühe durch ein automatisches Gatter. „Dort bekommen sie als Anreiz ein besonderes Kraftfutter“, sagt Gravert.

Der Roboter erkennt jede Kuh über einen Chip im Halsband. Darüber sind die Positionen der Zitzen am Euter gespeichert. Trotzdem wird das Euter bei jedem Melkgang mit einem Laser gescannt und anschließend gereinigt.

Timo Gravert bewirtschaftet den Milchhof Gravert

„Dann setzt der Roboter die vier Becher an und jedes Viertel des Euters wird gemolken“, so Gravert. „Dabei werden verschiedene Parameter überwacht. Beispielsweise die Milchtemperatur sowie Fett- und Eiweißgehalt in der Milch.“ Die Daten bekommt der Agraringenieur per App auf das Smartphone. „Wir haben im Stall WLAN“, sagt er.

Anhand der Daten kann Gravert rund um die Uhr den Gesundheitszustand und die Leistung der einzelnen Kühe und der gesamten Herde abrufen. „Daran kann man auch sehen, ob die Futtermenge und der Nährstoffgehalt stimmen“, so Gravert. Sobald ein Viertel abgemolken ist, wird der Melkbecher abgenommen.

Das sei ein großer Vorteil gegenüber herkömmlichen Anlagen, wo alle vier Zitzen so lange an die Anlage angeschlossen werden, bis alle vier Viertel des Euters leer sind. „Die Technik des Roboters merkt, wenn es keine Milch mehr gibt“, sagt Gravert. „Dadurch gibt es kein Blindmelken mehr.“ Euterviertel werde also nicht mehr weiter gemolken, wenn sie keine Milch mehr enthalten.

Video: So arbeitet der Melkroboter

„Dadurch haben wir mehr Leistung pro Kuh“

Dabei ist das System besonders effizient. Während in vielen Milchbetrieben die Kühe morgens und abends in den Melkstand getrieben werden, gehen die Kühe auf Graverts Hof selbstständig zum Melken und können sich dabei nach ihrem Biorhythmus richten. „Der Roboter melkt jede Kuh im Schnitt 2,7 Mal am Tag“, erklärt Gravert. „Dadurch haben wir mehr Leistung pro Kuh.“ 38 Liter geben Graverts Kühe im Durchschnitt am Tag. Dabei variiert die Milchleistung zwischen 20 und 70 Litern. 

Diese Effizienz ist gerade in einer Zeit, in der viele Bauern unter dem niedrigen Milchpreis leiden, besonders wichtig. „Wir bekommen derzeit 31 Cent pro Liter“, sagt Gravert. „Der Preis ist oft zu niedrig, um die Kosten zu decken. Dann finanzieren wir uns über Zwischenkredite.“

Problematisch dabei: Bezahlt wird die Milch erst im Nachhinein zu einem Preis, der vorher noch nicht festgelegt ist. Das macht es schwer, zu kalkulieren und wirtschaftlich zu arbeiten. Damit das Geschäft für Milchbetriebe lukrativer werden kann, müsse sich etwas an der Mentalität der Kunden im Supermarkt ändern, sagt Gravert.  

Milchpreisentwicklung in Schleswig-Holstein seit 2010

Biomilch ist schwer zu vermarkten

„Der Kunde kann den Preis schon beeinflussen, indem er hochpreisige Produkte kauft“, so der 40-Jährige weiter. Auch das Umstellen auf Biomilch biete keine Preissicherheit. „Discounter verkaufen mittlerweile ebenfalls Bioprodukte – aber nicht zu den Preisen, die man aus dem Biomarkt kennt, sondern zu Discounterpreisen“, führt Gravert aus. Außerdem sei Biomilch schwer zu vermarkten.

Der Melkprozess läuft automatisch ab.

„Manche Meiereien nehmen keine Biomilch mehr zur Verarbeitung an oder nur zum normalen Milchpreis.“ Für seinen Hof sei die Automatisierung die beste Möglichkeit, wirtschaftlich zu arbeiten.

Digitalisierung auch in anderen Bereichen

Außerdem ersparen die Roboter Gravert und seinen Mitarbeitern die anstrengende und zeitaufwändige Arbeit im Melkstand „Die gewonnene Zeit können wir nun nutzen, um uns intensiver um die Kühe zu kümmern“, so Gravert. „Zudem erhöht die Technik die Lebensqualität für uns und unsere Mitarbeiter.“ Denn ansonsten müsste er an 356 Tagen im Jahr melken. Die Melkroboter geben ihm und seinen Angestellten die Möglichkeit, ab und an in den Urlaub zu fahren.

Der Roboter schiebt das Futter immer wieder an die Fressgitter.

Doch nicht nur das Melken wird auf dem Hof von Maschinen übernommen – es gibt zahlreiche weitere Prozesse, die mithilfe der Digitalisierung automatisiert worden sind. In bestimmten Abständen reinigt ein Schieber den Boden im Stall, ein weiterer Roboter schiebt zehnmal am Tag das Futter an die Fressgitter – alle Geräte lassen sich per App steuern und überwachen.

Jedes Kalb bekommt den richtigen Milchanteil.

Auch bei der Kälberaufzucht macht sich Gravert die Technik zunutze: Die Kälber werden mit einem Gemisch aus Wasser und Milchpulver ab einem bestimmten Alter von der Milch entwöhnt. Je älter ein Kalb ist, desto geringer ist der Milchanteil. Über einen Chip im Halsband erkennt die automatische Tränke das Alter eines jeden Kalbes und gibt an jedes das richtige Wasser-Milch-Verhältnis ab.

„Man muss mit dem Stand der Zeit gehen“

Für Gravert ist die Digitalisierung aber nicht nur eine Arbeitserleichterung, sondern auch eine Möglichkeit, für Auszubildende und Mitarbeiter attraktiv zu sein. „Da muss man mit dem Stand der Zeit gehen“, sagt Gravert.

Die nächste Hightech-Neuerung hat er gemeinsam mit seinem Bruder bereits ins Auge gefasst: einen Sensor, der am Schwanz der Kühe angebracht ist und eine Warnung an eine App schickt, wenn sie kalben. Doch Gravert hat noch Bedenken. „Dann ist man quasi immer auf Abruf“, sagt er. Ein Gefühl, das viele Arbeitnehmer mit Diensthandy nur zu gut kennen dürften.

Bauernmarkt mit Onlineshop

Bauernmarkt mit Onlineshop

Das Stimmengewirr erinnert an einen Wochenmarkt. Es gibt Fleisch, Joghurt, Rhabarber, Radieschen und Blumensträuße aus essbaren Kräutern. An einem Stand verkauft eine Bäckerei, an einem anderen ein Landwirt, der Hühner hält. Milchprodukte gibt es an einem Kühlwagen. 

Doch eines fehlt im Vergleich zum Wochenmarkt: Niemand hantiert mit Bargeld. Alle angebotenen Waren haben die Kunden im Internet vorbestellt und online bezahlt.

Ein weiterer Unterschied: An den Ständen stehen die Produzenten, keine Händler mit eingekaufter Ware. „Das besondere an Marktschwärmer ist, dass es ausschließlich regionale Produkte gibt oder Lebensmittel wie Kaffee, die dann in der Region um Kiel verarbeitet werden“, erklärt Nele Markwardt, die Organisatorin der Kieler „Schwärmerei“ – so werden die Verteilstationen genannt. Einige der Produkte hätten ein Bio-Label, andere nicht. „Die Wertschöpfung passiert hier in der Region.“

Die Lebensmittel werden online bestellt

Seit gut zwei Jahren versammeln sich einmal pro Woche Verkäufer aus der Region um Kiel in einem Raum im Café Mmhio am Knooper Weg, anderthalb Stunden lang können die Käufer ihre Waren abholen. Was es in der Woche genau zu bestellen gibt, wird auf der Webseite von Marktschwärmer angezeigt. Dort bestellen die Kunden dann auch direkt ihre Ware. 

Die Webseite funktioniert wie ein Onlineshop. Markwardt ist die sogenannte Gastgeberin. Aufgrund ihrer Initiative wurde die Schwärmerei in Kiel gegründet.

Nele Markwardt, Organisatorin der Kieler Schwärmerei

Sie hat die Räumlichkeiten organisiert und wählt die Erzeuger aus, die dort ihre Produkte verkaufen. „Zu Beginn bin ich viel auf Märkte gegangen oder habe im Internet nach Erzeugern gesucht“, sagt die Agrarwissenschafts-Studentin. „Inzwischen melden sich die Verkäufer auch von selbst bei mir.“

Pro Verteilung kämen im Schnitt bis zu 15 der rund 20 Erzeuger. Zwischen 60 und 70 Bestellungen gebe es pro Woche. So viele seien auch nötig, damit sich der Aufwand für die Verkäufer lohne. Genug Interesse scheint vorhanden zu sein: Im Juni eröffnete Markwardt eine zweite Schwärmerei in der Wik

„Das Publikum ist gut durchgemischt“, so Markwardt. „Die Käufer sind zwischen 30 und 60 Jahre alt.“ Dass die Kunden nicht jünger seien, liege vermutlich am durchaus hohen Preisniveau. „Die Kosten sind nicht vergleichbar mit Discountern. Dafür sind die Preise fair gegenüber den Erzeugern.“ 

Auch wenn der Aufbau der Schwärmerei an einen Wochenmarkt im Kleinformat erinnert, sieht Markwardt die Konkurrenz an anderer Stelle: „Wir haben ein anderes Angebot und andere Uhrzeiten als ein Wochenmarkt. Supermärkte sind unsere Konkurrenz.“

Geteilte Meinungen auf dem Wochenmarkt

Ob sie durch Marktschwärmer einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt sind, sehen Verkäufer auf dem Wochenmarkt auf dem Exerzierplatz in Kiel unterschiedlich.

„Wer zu Marktschwärmer geht, läuft natürlich nicht hierher zum Markt“, sagt Hauke Holm, dessen Familie einen Hof in Aukrug betreibt und dort unter anderem Spargel und Kartoffeln anbaut. Eine Saison hat der Betrieb selbst Spargel bei Marktschwärmer verkauft. „Auf dem Markt ist der Vorteil, dass die Kunden die Ware vorher sehen und die Auswahl selbst treffen können. Das geht da nicht.“

Das Konzept von Marktschwärmer könne durchaus Konkurrenz sein. „Aber Marktgänger gehen zum Markt“, sagt Hauke Schacht, dessen Familie einen Obsthof im Alten Land hat. „Bei Marktschwärmer muss man ja zudem vorausplanen – bis montags bestellen und dann donnerstags abholen. Das machen viele Leute nicht, die kaufen spontan.“

„Ich sehe Marktschwärmer nicht als Konkurrenz, das sind eher Mitbewerber. Einige verkaufen ja auch zusätzlich auf dem Wochenmarkt“, sagt Antonia Nitsch von der Duft- und Aromagärtnerei Nitsch, die Gemüse und Pflanzen verkauft. „Wir leben von unserer Stammkundschaft. Viele zelebrieren es, auf den Markt zu gehen. Sie lassen sich Zeit, trinken Kaffee, probieren hier und da mal was.“

Seit gut zwei Jahren können über Marktschwärmer einmal pro Woche Lebensmittel aus der Region um Kiel in einem Raum im Café Mmhio in der Muthesius Kunsthochschule abgeholt werden.

Probleme beim Anbau bekommen die Kunden mit

Die Kunden bei der Schwärmerei in Kiel haben unterschiedliche Motivationen, dort einzukaufen: „Uns hat gereizt, dass es hier nur regionale Produkte gibt und man den Erzeugern direkt ins Gesicht schaut. Dafür gebe ich auch gerne mehr Geld aus“, erzählt die 35-jährige Sue Schorr, die mit dem 33-jährigen Michael Sswat bereits rund ein dutzend Mal bei der Schwärmerei eingekauft hat. „Mich hat überzeugt, dass ich die Woche hinweg online Ideen sammeln kann und nicht alles ad hoc kaufen muss“, ergänzt Sswat.

Das ist Marktschwärmer In Deutschland gibt es 64 Schwärmereien, drei davon in Schleswig-Holstein: Zwei in Kiel und eine in Schleswig. Allerdings befinden sich weitere in Felde, Plön, Freienwill und Nettelsee im Aufbau (Stand: August 2019). Die erste Schwärmerei weltweit entstand 2011 in Frankreich, unter dem Namen "La Ruche Qui Dit Oui!" ("Der Bienenkorb, der ja sagt"). Das Projekt wurde laut Marktschwärmer dadurch gestartet, dass einer der Gründer feststellte, dass auf einem Pariser Wochenmarkt keine einzelnen Bauern, sondern nur noch Händler zu finden waren. Daraus sei die Idee entstanden, durch eine Internetplattform Verbraucher und regionale Lebensmittelproduzenten auf neuen Wegen zusammenzubringen, und damit Erzeugern mehr Autonomie zu ermöglichen. Die deutschen Schwärmereien werden von rund 450 Erzeugern beliefert. Die Verkäufer müssen einige Kriterien erfüllen, so müssen sie etwa Produkte anbieten, die sie selbst in ihrer Region anbauen, herstellen oder weiterverarbeiten. Letztlich entscheiden die jeweiligen Gastgeber, mit welchen Erzeugern sie zusammenarbeiten. Die Verkäufer legen ihre Preise selbst fest. Von ihrem Umsatz geben sie 8,35 Prozent an den Gastgeber ab. 10 Prozent gehen zudem an das Marktschwärmer-Team. So wird der Gastgeber für die Organisationsarbeit entlohnt und das Team unter anderem für den Betrieb der Internetplattform.

Auch Norma Jensen ist von dem Konzept angetan, sie schätze es, dass man auch die Schwierigkeiten beim Anbau mitbekomme. „Etwa, wenn es keine Radieschen gibt, weil das Feld überschwemmt wurde oder wenn es aufgrund der Trockenheit keine so üppige Ernte gibt. Das merkt man unmittelbar“, sagt die 55-Jährige, bevor sie die bestellten Eier bei Claus-Erich Paulsen abholt.

Die Eier kommen aus Angeln

Der 56-Jährige hat einen Hof in Angeln, in der Nähe von Flensburg. Mit zwei weiteren Erzeugern aus der Gegend wechselt er sich mit dem Stand bei Marktschwärmer ab.“Wir haben quasi eine Fahrgemeinschaft für die Produkte.“ Paulsen hat einen Legehennenbetrieb mit 2800 Tieren. „Hier lade ich nur ein, was zuvor online verkauft worden ist. Auf dem Wochenmarkt packt man viel auf und ab, das ist hier nicht so. Zudem gibt es bei Marktschwärmer kein Rumgehöker mit Geld.“

Die Hühnereier liefert Claus-Erich Paulsen aus der Nähe von Flensburg.

Er meint, ein Stellplatz auf dem Wochenmarkt koste ihn ungefähr das gleiche wie die Gebühr bei Marktschwärmer. Vom Direktvertrieb ist er überzeugt. Als Rohstofflieferant zu überleben sei schwierig. „Man müsste ein riesiges Rad drehen, um davon leben zu können.“

Mit der Bestellnummer wird die Ware abgeholt

Zwischendurch bildet sich vor manchem Stand eine Schlange, die aber schnell abgearbeitet wird: Abgesehen von der Bestellnummer, die den Käufern vorher per Mail mitgeteilt wird, brauchen die Erzeuger nichts zu wissen.

Auch Christoph Donath-Totzke vom Lindenhof in Preetz ist von der Direktvermarktung überzeugt. „Wir verkaufen etwa auch auf dem Wochenmarkt. Aber bei Marktschwärmer ist das schöne, dass das besser planbar ist“, erzählt der 43-Jährige, bevor er einer Kundin den bestellten Spargel vorsichtig in den mitgebrachten Beutel umpackt. Angeliefert hatte er ihn in einer Plastiktüte. „Bei Spargel ist es mit einer Papiertüte schwierig. Aber hier gehen die Leute sehr bewusst auch mit der Verpackung um.“

Kherstin Riecken verkauft Milchprodukte ihres Hofes direkt aus dem Kühltransporter.

Kherstin Riecken begrüßt die Kundin, die ihre Milch abholen will, mit Namen. „Wir sind seit der ersten Stunde dabei“, sagt die 53-Jährige, die mit ihrer Familie einen Milchviehbetrieb in Großbarkau betreibt. Ihr Stammgeschäft sei die Lieferung direkt an Haushalte. „Wir liefern an die Haustür, das ist aber bei Mehrfamilienhäusern nicht immer möglich. Hier gibt es ein anderes Publikum.“ 

Riecken sagt, sie komme nur, wenn der Mindestbestellwert von 150 Euro erreicht sei. „Sonst ist der Bürokratieaufwand mit der Rechnungsstellung und so weiter zu groß.“ Sie sei dennoch fast immer da. Bei Riecken findet der einzige Bargeldaustausch bei der Schwärmerei statt: Auf den Milch- und Joghurtbehältern ist Pfand. „Mit dem Pfandgeld klappt es gut. Wenn es vergessen wurde, drücke ich auch mal ein Auge zu, aber dann wird es beim nächsten Mal auch tatsächlich mitgebracht.“

Zum Durchklicken: Zehn Lebensmittel im Preisvergleich

Für den Preisvergleich wurden Mitte Mai 2019 die Preise der jeweils günstigsten Produkte in einem Discounter, einem Supermarkt und einem Bio-Supermarkt in Kiel notiert. Nicht immer waren alle im Vergleich aufgeführten Produkte im aktuellen Angebot der Supermärkte.

Können diese fünf Landwirtschafsformen eine Lösung für alle sein?

Wie gut sich neue Projekte umsetzen lassen, ist auch von der angedachten Größe des Konzepts abhängig, sagt Prof. Dr. Dr. Christian Henning, Agrarökonom an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU): „Wenn man darüber redet, ob ein Projekt etwas für den ganzen Landwirtschaftssektor sein kann, muss man immer auch über die Skalierung sprechen. Ein einzelnes Projekt kann häufig erfolgreich sein, das heißt aber nicht, dass es gleich ein Leitbild für alle ist.“

Henning sieht die landwirtschaftliche Produktion gerade in einer Phase des Umbruchs: „Durch die Digitalisierung und durch genetische Techniken erkennen wir aktuell einen Technologiesprung.“ Immaterielle Güter wie Umweltwirkung oder Tierwohl stünden aktuell gesellschaftlich unheimlich im Fokus. 

„Bei Nachhaltigkeitsgütern ist jedoch der Unterschied zu etwa einer Luxusuhr, dass sie kollektive Güter sind und damit der Allgemeinheit zur Verfügung stehen“, sagt der Experte. Dies bedeute, jeder habe andere Vorstellungen über deren Nutzung und daher entstünden auf der Nachfrageseite enorme Probleme. „Und zwar ausschließlich auf der Nachfrageseite und überhaupt nicht auf der Produktionsseite.“

Fleisch aus artgerechter Haltung ist teuer

Tierwohl ist nicht günstig. „Es ist sogar ziemlich teuer“, so Henning. „Wenn man das Tierwohlniveau signifikant anheben will, dann wird Fleisch gut und gerne 50 bis 70 Prozent teurer. Und wenn ich ein Nettoeinkommen von 1700 Euro habe und eine Geburtstagsparty für Opa Klaus organisieren will, frage ich mich natürlich, ob ich Fleisch für 200 oder für 400 Euro kaufe. In der Pfanne merke ich ja keinen Unterschied. Und diese eine Party werde schon nichts ausmachen – das denken sich aber die meisten.“

Christian Henning, Agrarökonom Uni Kiel

Der Wunsch nach höhere Umweltleistungen ist groß

„Tatsächlich möchten alle ein höheres Tierwohl-Niveau erreichen, aber wir können das über den Markt nicht steuern“, sagt Henning. Es sei unmöglich, Tierwohl-Hochstandardprodukte im normalen Vermarktungsprozess einfach mit einem normalen Preisaufschlag anzubieten, den der Durchschnittsbürger zahlen möchte. „Wirklich unmöglich.“ 

Daher bräuchte man neue Steuerungsmechanismen. „Würden alle sagen, wir schaffen eine Ordnung, in der es nur noch das Tierwohl-Fleisch gibt und würde das dann über Steuern finanziert werden, dann würde der gleiche Mensch, der das teure Fleisch sonst am Tresen nicht kauft, genau dafür seine Stimme abgeben. Politisch kann man das umsetzten. Am Markt nicht.“

Viele Landwirte in Schleswig-Holstein sind bereit, neue Wege zu gehen.

Die Landwirte sind bereit, sich umzustellen

Joachim Krieter, Experte für Tierhaltung und Produktqualität

Auch Prof. Dr. Joachim Krieter sieht die Probleme aufseiten der Kunden. Er ist Leiter der Abteilung Tierhaltung und Produktqualität an der CAU: „Wenn der Verbraucher höhere Anforderungen an das Tierwohl stellt, dann muss das Geld dafür auch irgendwo herkommen.“ 

Die Landwirte seien bereit zu investieren. „Wir können auch nicht sagen, klein ist gut oder groß ist gut. Es gibt bei Biobetrieben und bei konventionellen Betrieben Vor- und Nachteile. Wir brauchen beides. Wichtig sind zudem die Zwischensegmente.“

Hohe bauliche Auflagen erschweren Investitionen

„Es gibt konkrete behördliche Hindernisse, wenn es darum geht, Tieren mehr Platz zu schaffen“, so Krieter. Momentan sei es kaum möglich, neue Ställe zu bauen, weil die Vorgaben so streng seien. „Da wird viel auf Emissionswerte geguckt. Und da beißen sich die Ansprüche gegenseitig – was ist jetzt wichtiger? Den Tieren mehr Platz zu bieten oder umweltbewusst zu bauen? Wir haben daher momentan einen Investitionsstau, weil keiner genau weiß, wo es hingeht.“

Professor Krieter betont, das Interesse am Berufsfeld Landwirtschaft nehme aber nicht ab – das kann anhand der Studentenzahlen abgelesen werden. Es stellt sich also die Frage, wie junge Landwirte in Zukunft arbeiten wollen und können.

Lösungen sind individuell

Die fünf vorgestellten Beispiele aus der Landwirtschaft zeigen: Es gibt Nischen, in denen hochwertige, regional angebaute Waren gefragt sind. Dabei ist unterschiedlich, wie verbindlich das Geschäft zwischen Erzeugern und Verbrauchern ist. 

Bei der Solawi zahlen die Kunden nicht einfach mehr für die Lebensmittel, sondern übernehmen einen Teil des Ernterisikos – so trägt der Landwirt nicht allein die Folgen einer schlechten Ernte.

Bei Marktschwärmer wissen die Erzeuger immerhin, wie viele Produkte sie zur Schwärmerei mitbringen müssen. Das erhöht zwar die Planbarkeit für den Tag der Verteilung, Probleme beim Anbau mildert dies jedoch nicht ab. 

Entscheidend ist, was sich Kunden beim Einkaufen in den Einkaufswagen laden.

Trotzdem herrscht eine gewisse Verbundenheit zwischen Käufern und Verkäufern. Diese Konzepte zeigen, wie auch Besserfleisch, dass manche Kunden wissen wollen, wie genau das Essen auf ihren Tellern produziert wurde.

Kreativität und Innovation helfen in der Landwirtschaft

Dass auch ungewöhnliche Ideen funktionieren können, wird in Nützen deutlich. Die Debatte um den Schutz von Bienen und Artenvielfalt führte hier zu einem insektenfreundlichen Blütenmeer. Aktuelle Entwicklungen werden auch im Milchbetrieb Gravert aufgegriffen – allerdings aus einem anderen Bereich. Hier helfen moderne Technik und Digitalisierung, die Arbeitsabläufe zu erleichtern und zudem die Leistung pro Kuh zu erhöhen.

Alle fünf Projekte zeigen Potentiale im Agrarsektor. Doch handelt es sich um individuelle Lösungen, die in ihrer Form nicht einfach auf sämtliche landwirtschaftlichen Betriebe übertragen werden können.

Eine Multimedia-Reportage mit Texten von Laura Treffenfeld, Christin Jahns, Jördis Früchtenicht, Gunnar Müller und Sebastian Ernst.

Grafiken: Christin Jahns.

Videos: Laura Treffenfeld, Gunnar Müller und Sebastian Ernst.

Fotos: Jördis Früchtenicht, Laura Treffenfeld, Christin Jahns, Gunnar Müller, Ulf Dahl, Sebastian Ernst, Frank Scheer, May-Britt Wilkens, Limva.pl, Sven Jansson, Joachim Krieter, Oleg Magni (Pexels) und dpa.

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