Mit Fotos von: Claus Harlandt, Michael Stamp, Archiv Peter Zastrow, Gunnar Müller
Wer an Bad Segeberg denkt, dem fällt häufig als erstes „Karl May“ ein. Prärie, Wilder Westen im hohen Norden: Warum konnte sich fernab Sachsens, der Heimat Karl Mays, ein Spielort etablieren, der jährlich Hunderttausende Besucher anzieht? Was ist das Besondere am Kalkberg und seiner Naturbühne?
Die majestätische Kulisse: Der Kalkberg
Er wurde geschlagen und geschliffen, die Menschen feierten hier Feste und führten Fehden. Die Nationalsozialisten wollten ihn zur Kultstätte machen. Stattdessen spielen hier seit fast 70 Jahren Cowboy und Indianer, stürzen sich Helden vom Felsen in den Tod, jubeln jedes Jahr mehr als 350.000 Besucher, wenn der Schurke eins draufbekommt: der Kalkberg in Bad Segeberg.
Was würde der Berg – der eigentlich aus Gips ist – zu seinem eigenen Mythos sagen? Seit rund tausend Jahren steht der Kalkberg im Zentrum Bad Segebergs.
Besser gesagt: Die Stadt und vormalige Siedlungen wurden um den Berg und die auf ihm thronende Burg gebaut. Der Stadthistoriker und Buchautor Peter Zastrow hat einige Werke über Bad Segeberg (die „Kalkbergstadt“) verfasst. Zu Füßen des Kalkbergs begann vor mehr als 800 Jahren die Besiedlung des Gebietes mit einem Kloster, auf dem Berg wurde die Siegesburg gebaut, die der Stadt ihren Namen gab. Erst nach vielen Jahrhunderten wurde die Burg geschliffen, unter anderem – und endgültig 1644 – von den Schweden im Dreißigjährigen Krieg zerstört.
Danach vergingen Jahrhunderte, in denen der Raubbau am Kalkberg weiterging: Einen Großteil seines Volumens verlor der Berg durch den Abbau von Gips – eine Goldgrube für die damalige Zeit. Und ein Exportschlager in ganz Europa. Aber aus der majestätischen Erhebung, von der man weit über das flache Land blickte ( bei guter Sicht bis nach Lübeck) und regierte, war wenig übrig geblieben.
Als man mit dem Bau der Siegesburg begann, war der Kalkberg noch 110 Meter hoch – heute liegt sein höchster Punkt bei rund 91 Metern. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts zog man zur Arbeit im Gipsabbau Straftäter heran, etwa Wild- und Holzdiebe aus der Umgebung. Gänzlich eingestellt wurde der Gipsabbau 1950, da aber hatte der Berg schon seine Gestalt und Höhe verloren.
Stattdessen entdeckte man Anfang des 20. Jahrhunderts ein riesiges Höhlensystem unter dem Berg – Heimat für eine der größten Fledermauskolonien Deutschlands. Zu bestaunen sind diese heute im Noctalis-Fledermauszentrum. Und auch Choleva septentrionis holsatica, der Segeberger Höhlenkäfer, fühlt sich hier wohl.
Das dunkle Kapitel: Die Nordmark-Feierstätte der Nazis
Die Freilichtbühne, die jetzt noch in Betrieb ist, entstand 1937 und diente den Nationalsozialisten für Aufmärsche: Ursprünglich sollten 400 sogenannte „Thingstätten“ im Dritten Reich errichtet werden – letzten Endes waren es zehn. Bei seinem Besuch in Bad Segeberg im Oktober 1937 fuhr der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Joseph Goebbels, auch durch die von Schaulustigen gesäumte Lübecker Straße.
Die Bad Segeberger trugen dem führenden Nazi-Funktionär einen besonderen Wunsch vor: Und Goebbels gab nach. Am 10. Oktober 1937 wurde die Nordmark-Feierstätte, die heutige Kalkberg-Arena, offiziell eingeweiht – unter den „Heil-Hitler“-Rufen von 20.000 Einwohnern, herangekarrten Nationalsozialisten und Gästen – nach nur zwei Jahren Bauzeit durch den Reichsarbeitsdienst.
Nibelungen? Oder Winnetou und Old Shatterhand? Was kommt nach dem Krieg?
Das erste Theaterstück, das 1937 unter dem Kalkberg aufgeführt worden ist, war „Die Schlacht der weißen Schiffe“ des Autors und SS-Obersturmführers Henrik Herse. Doch wenige Monate später brach der Zweite Weltkrieg aus. Nur wenige Veranstaltungen fanden in der Nordmarkstätte noch statt, etwa die der Hitlerjugend. Kurz nach dem Krieg kämpfte hier Max Schmeling in einem improvisierten Box-Ring. – So zumindest die Überlieferung. Denn eigentlich war Schmeling erst nach seiner aktiven Zeit in Bad Segeberg und fungierte hier „nur“ als Ringrichter. Doch dann war Schluss.
Die Bad Segeberger kümmerten sich um den Wiederaufbau ihrer Stadt. Da stand es nun: ein riesiges Amphitheater mit Felsenkulisse in der norddeutschen Provinz. Was sollte die Stadt damit anstellen?
Zwei Ideen spalteten die Bevölkerung: Die einen wollten die Nibelungen aufführen. Die anderen wollten möglichst weit weg von jeder deutschtümelnden Geschichte – wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch finanziell fiel die Wahl auf die Geschichten des Sachsen Karl May, des schöpferischen Vaters von Winnetou und Old Shatterhand. So fanden die Indianer letztlich den Weg in den Norden.
Einheimische, Gäste und die Karl-May-Spiele
Ohne Karl-May-Spiele, witzelt Marlis Stagat, würde sie pünktlicher und ohne Staus nach Hause kommen. Dabei steht für die Sprecherin von „Wir für Segeberg“ fest, dass der Kalkbergstadt viel fehlen würde ohne den Wirbel auf der Freilichtbühne: Hunderttausende Besucher jedes Jahr (372.646 sahen 2017 „Old Surehand“) , einige davon Tagesgäste. Etliche jedoch nutzen Bad Segeberg als Ausgangspunkt und Tor für Erkundungen in die Holsteinische Schweiz, an deren Ausläufer die kleine Kreisstadt liegt. Nicht am Klondike River, aber an der Trave herrscht seit vielen Jahrzehnten so ein bisschen Goldgräberstimmung.
Der Zustrom der Gäste, die sich die Geschichten vom Apachenhäuptling Winnetou und Old Shatterhand ansehen wollen, ist ungebrochen. Auch wenn sich die Vorlagen desselben Stoffes bedienen. Seit zwanzig Jahren schreibt Michael Stamp das Drehbuch. Für puristische Karl-May-Fans dehnt er dabei die Bücher zu sehr. Doch die Besucherzahlen geben Stamp, Regisseur Norbert Schultze jr. und den weiteren Verantwortlichen recht.
Aus dem Kampf Gut gegen Böse, Cowboys gegen Indianer wird in freier Adaption ein familiengerechtes Stück auf der Freilichtbühne mit der schier magischen Kulisse der Felsenwand. Fast zwölf Millionen Besucher zählen die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg seit ihren Anfängen 1952. Rund 3.600 Vorstellungen gab es. Tendenz der Besuchszahlen: Seit Jahren steigend.
Zahl der Besucher je Saison
Bad Segeberg und die Karl-May-Spiele
Im Interview betont Bürgermeister Dieter Schönfeld (SPD) die Bedeutung und die Magie der Spiele für und in Bad Segeberg. Schönfeld ist in Personalunion aber auch Vorsitzender des Aufsichtsrates der Kalkberg GmbH, die die Karl-May-Spiele ausrichtet.
Herr Schönfeld, wer profitiert mehr voneinander? Die Stadt oder die Karl-May-Spiele?
Bürgermeister Dieter Schönfeld: Wir als Stadt sind auf einem guten Weg. Und die Karl-May-Spiele sind auf einem besseren Weg. Die haben sich in den 66 Jahren ihres Bestehens zu einem modernen, sehr professionellen Freilichttheater entwickelt, mit vielen spannenden Shows. Der Bandbreite Gut gegen Böse – und ein bisschen Lovestory. Und dabei ein Drehbuchautor Michael Stamp, der immer tagesaktuelle Ereignisse immer sehr humorvoll einarbeitet. Dass man mitlachen kann, in schwierigen Situationen. Und eine große Fangemeinde dankt uns das ja auch mit langanhaltender Treue. Und die Fangemeinde wird jährlich größer.
Was bedeuten die Karl-May-Spiele wirtschaftlich für die Stadt Bad Segeberg?
Schönfeld: Wir haben in den vergangenen Jahren jeweils mehr als 350.000 Zuschauer gehabt. Das ist für den Tourismus und für das Image sehr nützlich und gut.