Hart, härter, Schleswig-Holstein: Metal im Norden

Kieler Nachrichten

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75.000 Besucher, knapp 170 Acts und eine Lautstärke zwischen 120 und 140 Dezibel: Das Wacken Open Air ist weit über die Grenzen Schleswig-Holsteins bekannt. Jeweils am ersten Wochenende im August verwandelt sich das Dorf mit knapp 1700 Einwohnern ins weltgrößte Metal-Mekka. Wer glaubt, dass der Norden danach in einen Dornröschenschlaf fällt, der irrt. Wir haben mit vier Metal-Heads gesprochen, die zeigen: Der Norden rockt, mosht oder headbangt was das Zeug hält –  und zwar das ganze Jahr.

Texte: Jorid Behn; Fotos und Videos: Kerstin Tietgen, Beitragsbild: Frank Peter

Die "Doom Birds" Kiels erster Metalchor

„Breaking the law, breaking the law“, hallt es durch das Fotostudio Renard in Kiel. Acht Männer und Frauen in schwarzen Wacken-T-Shirts stehen nebeneinander und singen im Chor das Lied von Judas Priest, während vor ihnen Chorleiter Christian Sondermann mit seiner Akustik-Gitarre die Powerchords greift und für Stimmung sorgt. Die Sänger klingen mit ihren tiefen rockigen Stimmen nicht so, als wäre es ihre erste Probe. Doch das ist es. Denn hier treffen sich acht Metal-Fans und gründen ganz ohne musikalische Vorkenntnisse den ersten Metalchor in Kiel: Die Doom Birds – Kiel Chapter.

Auch in Hamburg und in Lübeck gibt es bereits Chöre, die zu den Doom Birds gehören. „Vor ein paar Jahren habe ich auf Facebook eine Umfrage gestartet und gefragt, was es für einen neuen Chor geben soll“, blickt Sondermann zurück, der bereits seit fünfeinhalb Jahren verschiedene Chöre leitet. „Die Antwort war eindeutig. Es fehlte ein Metalchor.“ Also gründete Sondermann die Doom Birds in Hamburg. „Ich habe aber festgestellt, dass die meisten Sänger aus Lübeck kommen und deswegen einen zweiten Chor dort gestartet.“ Seitdem treten sie auf verschiedenen Straßenfesten, Festivals oder auch in der Kneipe „Hot Rock“ auf.

„Wir machen auch viel Quatsch“,

Christian Sondermann (38),

Gründer der „Doom Birds“

Nun soll auch Kiel einen Metalchor bekommen. „Ich habe eigentlich noch nie ernsthaft gesungen, aber ich fand die Idee von einem Metalchor cool. Gut fand ich auch, dass hier keine Vorkenntnisse erwartet werden“, erzählt Sarah Krogsrud (35) aus Kiel, die bei der ersten Probe dabei ist. Und genau das ist Sondermann auch ein besonderes Anliegen: „Hier muss niemand perfekt singen können, denn singen kann eigentlich jeder. Wichtig ist einfach, dass wir Spaß haben und das später auch auf der Bühne zeigen. Wir werden da viel Quatsch machen.“

Und Spaß haben sie sichtlich. Neben den Songtexten zeigt Sondermann den Sängern witzige Choreographien. „Ein Lied spielen wir bei Konzerten immer am Schluss und am Ende bewegen wir uns dann alle wie ein Roboter und quietschen schön dazu“, erklärt Sondermann und führt es prompt vor. Er hebt seinen rechten Arm, schwenkt ihn ein wenig hin und her und macht dabei quietschende Geräusche mit seiner Stimme. „Das ist immer unser Highlight auf der Bühne. Die Leute schmeißen sich dann jedes Mal weg vor Lachen.“

Spaß ist auch Ingo Buth (56) aus Plön wichtig – er ist eigentlich kein echter Metal-Fan, findet aber die Idee witzig, einfach laut zu singen. „Eigentlich höre ich viel Musik aus Südamerika. Metal ist gar nicht mein Hauptgenre.“ Trotzdem hat er sehr viel Spaß und will bei der nächsten Probe wieder dabei sein.

Mit rasantem Tempo geht es bei den Doom Birds voran. Kommende Woche haben sie bereits ihre ersten Auftritte auf der Kieler Woche. Am Mittwoch und Donnerstag treten die Doom Birds auf der Bühne im Rockcamp von Radio Bob auf. Bei den letzten drei Liedern sollen die neuen Kieler Doom Birds mit auf die Bühne, so Sondermann. „Donnerstag haben wir Torfrock als Vorband. Ist das nicht schon was?“, witzelt Sondermann. Doch den Metal-Fans reicht das noch nicht. „Unser Ziel ist es, auf der großen Bühne auf dem Wacken Open Air zu singen“, sagt Sondermann.

Bei den Doom Birds mitmachen kann jeder, der gerne laut singt und Spaß hat. Jeden Sonntag ab 18 Uhr treffen sie sich. Kosten 25 Euro im Monat. Leitung: Sonja Tzschätzsch (33) & Tiemo Merkel (29)

Praxis Dr. Mosh Marc Neubauer ist der Arzt, dem die Metaller vertrauen

Dr. Mosh alias Marc Neubauer (39) legt seit zehn Jahren in verschiedenen Clubs in Schleswig-Holstein auf und bringt die Metal-Szene zusammen. Unterstützt wird er dabei seit einiger Zeit von DJ Snake, alias Christian Siebert.

Sie sind als Praxis Dr. Mosh in der Metal-Szene in Kiel bekannt. Woher kommt der Name?

Mosh ist mein Spitzname, der schon zu meinen Counterstrike-Zeiten vor ungefähr 20 Jahren entstanden ist. Lange, lange her (lacht). Dass ich Dr. bin, ist eigentlich aus einer Phase heraus entstanden, in der es noch so etwas gab, wie Studie VZ und meinVZ. Jeder hatte da seine Gruppe, die einen coolen Namen haben musste. Dabei war es eigentlich völlig egal, ob du was gepostet hast oder nicht. Aus einer Schnapslaune heraus haben wir dann überlegt, einen Kummerkasten für Gitarren-Musikhörer zu machen. Nach dem Motto: Sie haben einen Kasten Bier und wissen nichts damit anzufangen? Ihr Troll wird nicht stubenrein, er macht in die Ecke. Dann fragen Sie Dr. Mosh. Während meiner ersten eigenen Parties kam dann noch die Praxis dazu. Das Kind brauchte ja nun einen Namen.

Sie feiern im September zehn Jahre Partygeschichte. Wie sind Ihre Parties entstanden?

Ich habe von 1998 bis 2008 im Tucholsky auf dem Rockfloor hier in Kiel sehr viel aufgelegt. Irgendwann habe ich mir dann gesagt, es reicht. Jetzt muss ich auch mal da weg. Daraufhin habe ich in der Pumpe angefangen. Die ersten Parties waren dann tatsächlich noch in einem Arztpraxen-Style gemacht. Ich hatte versucht die Szene, die eigentlich vorsätzlich dunkelweiß trägt, mit Arztpraxen zu verbinden. Wir haben die Party mit roten Kreuzen und schwarzen Kreuzen auf rotem Grund dekoriert. Aber das war irgendwie alles zu gothic. Also haben wir es umgebaut. Ich hatte drei Mädels, die die Vortänzer gemacht haben. Sie hatten Arztkittel an und haben Kurze verteilt. Ja, das ist dann so gelaufen.

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Haben Sie für das Jubiläum etwas Besonderes geplant?

Wir suchen noch die richtige Location, denn wir wollen auch ein bisschen Live-Musik. Angeblich soll beim Jubiläum die Fun-Cover-Band namens Die Doktoren Premiere feiern. Auf jeden Fall planen wir etwas Größeres im September oder November.

Wie werden Ihre Parties angenommen?

Ich bin damals von einem Tag auf den anderen aus dem Tucholsky raus. Doch zum Glück habe ich einen großen Teil der Gäste einfach mit rübergenommen, plus X. Zu dem Zeitpunkt gab es noch das Böll und das Böll 2. Im Tuch hattest du die Fun-Punk, Fun-Rock-Mucke, so von Blink 182 bis hin zu System of a Down. Im Böll waren dann eher die Metaller, mit Heavy-Metal von Metallica. Und im Böll 2 waren die ganzen Grufties. Und die sind dann im Endeffekt alle mitgekommen. Wir haben versucht, daraus eine Mische zu machen: Sisters of Mercy trifft die Gummibärchenbande. Das hat funktioniert. Mittlerweile legen wir im Max beim Kontrollverlust auf und da kommen 400 bis 500 Besucher. Allerdings legen dort auch zehn verschiedene DJs auf. Bei den anderen Parties sind wir nur zu zweit und dann kommen natürlich auch weniger. Vor allem jetzt im Sommer. Da haben wir so 100 bis 150 Besucher.

Wo legen Sie auf, wenn Sie nicht gerade im Max sind?

Im Hot Rock zum Beispiel. Da mache ich gerne mal Mottoparties. Ab und an lege ich auch im Far Out in Grevenkrug auf. Aber das ist einmal im Quartal vielleicht. Sonst bin ich im Utgard in Eckernförde oder auch auf Privatparties. Zum Beispiel, wenn es heißt, Location XY will einen Hochzeits-DJ, aber es darf kein Schlager und kein Oldschool-Kram laufen. Dann fragt man auch mal mich. Ich toure also durch Schleswig-Holstein. Aber das Max ist im Augenblick so das Hauptding.

„Ich halte nichts von dieser ,Metal-ist-böse-Einstellung'“

Marc Neubauer alias Dr. Mosh (39),

Metal-DJ

Welche Musik legen Sie auf?

Am Anfang hieß es: Praxis Dr. Mosh – alles was dem DJ gefällt. Das hat sich auch ein bisschen etabliert. Wir spielen von Gitarrenrock über Heavy Metal, Metal, Klassischen New Metal, Power Metal, Mittelalter Rock, Folk, Irish Folk und alles was irgendwie aus Skandinavien kommt, wird ausprobiert. Auch die Gummibärchenbande kommt mal als Füller zwischendurch. Also wirklich quer durch die Bank. Hauptsache es ist Gitarre dabei.

Die Musik auf meinen Parties muss tanzbar sein. Ich würde mich und meine Musik als Mainstream bezeichnen. Man kann auch viel Krach hören wollen, das mache ich auch, aber es muss halt tanzbar sein. Sonst geht es nicht. Klar, kann sich jeder bei mir etwas wünschen, besonders am Anfang oder am Ende der Party, wenn die Power raus ist oder noch nicht da ist. Aber eigentlich versuchen wir wirklich die gesamte Zeit durch Vollgas zu geben. Da unsere Parties im Durchschnitt sechs bis sieben Stunden gehen, ist das schon nicht ohne.

Was ist das Besondere an Ihren Parties?

(lacht) Die Leute wissen, was sie kriegen. Aber das kann man ja auch negativ sehen. Aber man kann sagen, dass die Leute bei mir gute Laune bekommen. Da feiert der DJ noch mit. Auflegen in anderen Musikrichtungen ist ja deshalb so anstrengend, weil die DJs so viel selbst machen müssen. Wir machen ja echt nur einen Song nach dem anderen an und feiern dann quasi mit. Und dann kommt noch die Tatsache dazu, dass wir mit einem breiten und großen Bühnentresen arbeiten. Wir sind immer mindestens zu zweit. Dass heißt, wenn der eine auflegt, kann der andere die Gäste begrüßen. Das hat einen persönlichen Flair. Ich würde behaupten, ich kenne so 50 Prozent meiner Gäste mit Namen. Oder auch 75 Prozent, je nach Zustand. (lacht) Die Leute kommen zu mir zum DJ-Pult und schnacken dann. Ich finde, das gehört auch dazu.

Ich halte nichts von diesen Metal-ist-böse-Einstellungen. Ich trage schwarz. Ja, aber Schwarz ist nur meine Farbe, weil ich nichts Dunkleres gefunden habe (lacht). Aber ich bin durchaus jemand, der gerne auf Festivals mit aufblasbaren Flamingos durch die Gegend läuft. Das finde ich halt schon cool.

Gibt es einen Unterschied zwischen Marc Neubauer und Dr. Mosh? Ist das eine zweite Persönlichkeit?

Oh, gute Frage. (lacht) Jeder Mensch hat zwei Facetten. Die, die er zeigt und die, die er ist. Bei mir deckt sich das zu fast 100 Prozent. Heißt auf der einen Seite, ich bin total authentisch. Auf der anderen Seite habe ich aber auch nichts zu verbergen. Das ist so ein bisschen nachteilig. Der Dr. Mosh ist insofern mittlerweile der Marc geworden, dass ich eher auf Mosh höre, als auf Marc. Wenn meine Mutter mich ruft, tickt meine Schwester mich von der Seite an und sagt: Mosh, sie redet mit dir (lacht).

Inwiefern macht Dr. Mosh Sachen, die Marc Neubauer nicht macht?

Marc würde nicht auf einem Festival beschließen, dass es irgendwie toll ist, von einem Boxenturm zu springen, weil da unten 40 Mann stehen. Der Mosh, der aber schon einmal im Wrestling-Ring war, denkt sich: Wieso, damals ist doch auch nichts passiert. Und hopst dann eben drauf los. Aber sonst sind die beiden schon relativ deckend.

Hand aufs Herz: Gab es schon einmal einen Moment, in dem Sie keine Lust mehr auf Metal hatten?

Ja! Rammsteinparty 2012 in der Traum Fabrik. Da habe ich gedacht, das kann doch nicht sein. Das war die Anfangsphase von Rammstein. Die hatten da vielleicht drei Alben heraus gebracht. Die Party war einfach nicht schön. Du kannst dich normalerweise mit jedem Menschen vernünftig unterhalten, aber das war schon eher anstrengend. Und ich habe nach vier Stunden Party dem Veranstalter die Hälfte der veranschlagten Kohle zurückgegeben. Ab da habe ich dann normalen Scheiß gespielt. Ich dachte: „Rammstein wird nichts mehr.“ Daraufhin gingen ungefähr 50 Prozent der Gäste, aber es kamen auch nochmal so 25 Prozent nach und dann ging das. Vorher war es nicht zu ertragen. Das lag natürlich zum Teil auch an der Musik. Am nächsten Tag war ich dann aber auch schon wieder auf einem Konzert in Hamburg von einer ganz kleinen Band. Das hat mich wieder versöhnt.

Was ist das Besondere an der Metal Szene hier in Schleswig-Holstein?

Die sind alle furchtbar lieb und nett. Die tun nichts, sind frei und offen für alles, solange du eine Metalkutte trägst oder Ähnliches. Ist allerdings jemand szenefremd, ist das dann immer so eine Sache. Dann muss man schon auf die Leute zugehen. Von alleine kommen sie nicht.

„In der Regel sind das alles super liebe Kerle oder Mädels, die einfach ein offenes Ohr haben.“

Marc Neubauer alias Dr. Mosh (39),

Metal-DJ

Wollen wir uns an eine Typologie heranwagen? Was macht so einen norddeutschen Metaller aus?

Der Metaller sagt grundsätzlich vor zehn Uhr morgens nur Moin, wenn überhaupt. Gerade auf Festivals. Der norddeutsche Metaller an sich ist natürlich meistens blond, groß und breit, weil das ja alles Wikinger sind. Er ist eher grummelig und zurückhaltend. Am Anfang ist er eher schlecht gelaunt und findet alles doof. Sobald er aber seine ersten Verbündeten, die ersten seiner Spezies, erkennt, taut er etwas auf. Dann werden die Schultern etwas entspannter und die Beine gehen etwas weiter zusammen, weil er nicht mehr die Poser-Stellung einnehmen muss. Nach dem ersten Bier geht es dann los.

Im Gegensatz zum Süddeutschen braucht der norddeutsche Metaller vielleicht ein Bier mehr und fängt langsamer an, aber dann läuft das ganze auch drei bis fünf Tage. Je nachdem wie lange das Festival geht oder eben die Party. Das Trennen nach der Disco oder nach dem Festival ist für die norddeutschen Metal-Heads schwer. Häufig sind sie noch eine Weile draußen unterwegs, trinken das ein oder andere Bierchen danach und besprechen das Konzert oder Festival. Außerdem sind sie alle unglaublich trinkfest.

Einige Rock- und Metalbands haben in der Vergangenheit wegen politischer Aussagen für Aufsehen gesorgt. Wie geht man als DJ damit um?

Für mich haben Politik und Musik nichts miteinander zu tun. Es gibt Bands in jeder politischen Richtung, die sich das zunutze machen, dass man Politik und Musik miteinander verbinden kann, um ihre Meinung in die Masse hinaus zu brüllen. Das ist auch in Ordnung. Ich persönlich glaube aber, das meine Parties nichts mit politischer Gesinnung zu tun haben sollten. Wir sind zum Feiern da, wir wollen die Musik leben und den Spirit aufrecht erhalten. Wir wollen nicht, dass sich politische Szenarien auf unsere Parties übertragen. Wir sind wegen der Musik DJs geworden.

Wie reagieren Sie, wenn einer Ihrer Gäste um ein Lied von Freiwild bittet?

Dann sage ich, Freiwild spiele ich nicht. Aus dem einfachen Grunde, dass ich keine Unruhen auf meinen Parties möchte. Aber ich habe eigentlich auch keine Gäste, die danach fragen. Das ist aber kein politisches Statement.

Metal ist seit vergangenem Jahr auf der KiWo durch das Radio Bob Camp vertreten. War das lange überfällig?

Ja! Sehr, sehr lange überfällig. Wir hatten einmal mit dem Hot Rock zusammen die Überlegung, einen kleinen Bierwagen auf der KiWo zu platzieren und dort auch Bands spielen zu lassen. Aber wir haben ja zum Glück auch die Junge Bühne und die Showbox in der Pumpe. Letztes Jahr war das Rockcamp grandios. Ich hoffe, das hält sich. Die Besucherzahlen scheinen ja zu stimmen, wenn Jack Daniels Sponsor ist und der Thomas Jensen von Wacken seine Finger im Spiel hat.

Möchten Sie noch mit Missverständnissen im Metal aufräumen?

Die Metaller sind zwar unfreundlich auf den ersten Blick, aber wenn du Hilfe brauchst, frag den Metal-Head – den langhaarigen Zossen im ausgewaschen T-Shirt oder mit der Jeans-Kutte. In der Regel sind das alles super liebe Kerle oder Mädels, die einfach ein offenes Ohr haben. Die hören sich zumindest den Spruch an. Man kann auch bei Metal ohne Bier Spaß haben. Das ist nicht zwangsläufig miteinander verbunden. Und nicht jeder Metal-Head benimmt sich auf einem Festival wie ein Assi. Das sind meistens die anderen Zuschauer.

Ein Interview von Jorid Behn und Kerstin Tietgen

Bunt unter schwarzen Menschen Surreal Spheres ist Walking Act

Bunt, fantasievoll und auffällig ist das Motto von Julia alias „Surreal Spheres“ (26), wenn sie beim Wacken Open Air als Bodypaint-Model auftritt. Dann verwandelt sie ihren Körper in einen Salamander, eine abstrakte Dämonenfigur oder ein anderes Fabelwesen und läuft über das Festivalgelände. „Mit meiner Modelaktion sammle ich Spenden für die Wacken Foundation, die junge Künstler unterstützt“, sagt sie. Die Wacken Foundation unterstützt nämlich nicht das gleichnamige Festival, sondern junge Musiker und Künstler, die sich dem Heavy Metal verschrieben haben.

Vor drei Jahren begann die Studentin das Bodypaint-Modeln und tritt seitdem bei verschiedenen Konzerten, Feuerspielen oder anderen Festen auf. Das Modeln auf dem Wacken Open Air entstand eher zufällig. „Im vergangenen Jahr habe ich Bodypaint-Models auf dem Festival gesehen und einfach gefragt, ob ich mitmachen darf.“ Das durfte sie. Mit einer Büchse in der Hand zog sie los und sammelte Spenden. „Am Ende war es so ein großer Erfolg, dass wir in diesem Jahr mit noch mehr Models auftreten dürfen.“

Mit dabei hat sie ihre Bodypainterin Elisa (20), die sie in die Figuren verwandelt. „Ich habe schon immer viel gezeichnet und künstlerisch gearbeitet“, erzählt Elisa und führt ihre Arbeit direkt vor. Mit einer unglaublichen Präzision und Leichtigkeit bemalt sie Surreal Spheres. „Zuerst habe ich die Haut am ganzen Körper grün grundiert und danach male ich jetzt die einzelnen Schuppen für unser grünes Schuppenwesen,“ so Elisa. Sie nimmt ein kleines Gitterdöschen in die Hand und betupft dadurch mit einem Pinsel die Haut. „Am Ende gieße ich Surreal Spheres noch Kunstblut über den Kopf und die Schulter. Denn gerade auf Wacken ist Kunstblut immer wichtig.“ Nach gut eineinhalb Stunden ist der komplette Körper angemalt. „Länger als heute sollte einen Zeichnung gerade bei Auftritten wie auf Wacken nicht dauern. Das sprengt sonst den Rahmen“, sagt Elisa. Denn da wird sie mehrere Menschen bemalen.

„Die Leute rufen einem hinterher, wollen einen anfassen oder auch hochheben“,

Julia (26) alias Surreal Spheres

Die beiden Mädchen haben schon viele Komplimente für ihr Bodypainting bekommen. „Die Leute rufen einem hinterher, wollen einen anfassen oder auch hochheben. Doch unangenehm begrabscht wird man dabei nicht. Die sogenannten Metal-Heads sind eigentlich angenehme Menschen.“ Und das obwohl sie fast nackt über das Festivalgelände läuft. „Wir kleben eigentlich nur die Brustwarzen ab, manchmal ist das auch ganz schön kalt, so über das Gelände zu laufen.“

Die Farbe am Ende abzuwaschen, sei kein Problem, sagt Surreal Spheres: „Nur an den Ohren bleiben häufig noch Farbreste übrig, die ich immer nicht richtig wegbekomme.“

Hart aber familiär Kevin Petersen organisiert das Holsteiner Death Fest

Nicht nur das Wacken Open Air zieht die Metal-Fans in den Norden. Mittlerweile ist auch das Holsteiner Death Fest (HDF) in der Szene ein Name. Vor sieben Jahren rief Kevin Petersen (28), Erzieher aus Husum, das HDF ins Leben. Seitdem wächst es jedes Jahr. Angefangen hat Petersen mit einem Tag und acht Bands. 2018 feierten die Besucher drei Tage lang zu 26 Bands. In den vergangenen zwei Jahren war das HDF mit 250 verkauften Tickets ausgebucht.

Wie ist das Holsteiner Death Fest entstanden?

Ich lebe den Death Metal schon seitdem ich 13 Jahre alt bin. Seit 2007 singe ich in zwei Death Metal Bands. Somit ist Death Metal ein großer Teil meines Lebens. Allerdings war es für uns gerade in der Anfangszeit schwer, Fuß zu fassen, da die Death-Metal-Szene in Schleswig-Holstein eher bescheiden war. Ich wollte mit dem Holsteiner Death Fest ein Festival erschaffen, wo kleine – ich nenne sie mal vorsichtig „Anfänger“-Bands – mit großen Bands zusammen auftreten können.

Außerdem wollte ich gerne, dass sich die Szene auf einem kleinen, sehr familiären Festival zusammenfindet. Auf dem Holsteiner Death Fest gibt es nicht wirklich einen Backstage-Bereich, wo die „Großen“ sich verstecken, wie auf anderen Festivals. Hier ist jeder präsent und alle lernen sich kennen. Das hilft den kleinen Bands ungemein. „Support the Underground“ ist die Devise.

Ist das Wacken Open Air für Sie eher ein Bruder oder ein Konkurrent?

Weder noch. Klar sind dort auch Metal-Heads, genau wie bei uns, allerdings sind die Leute, die zu uns kommen, etwas spezieller. Obwohl unsere Gäste aus der ganzen Welt kommen, wie zum Beispiel der USA, Mexiko oder dem Libanon, kennt man sich. Die Death Metal-Szene ist klein und überschaubar. Man trifft sich immer wieder auf verschiedenen Festivals.

Was macht die Death Metal Szene so besonders?

Eben genau das. Wir sind eher eine große Familie als eine Szene. Völlig Fremde gibt es kaum. Eigentlich kennt immer einer einen, der den anderen irgendwoher kennt. Und so kommt es, dass auf einmal fünf Leute, die sich vorher gar nicht kannten, eine Fahrgemeinschaft aus Bayern zum Holsteiner Death Fest bilden oder sich ein Hotelzimmer teilen. Das ist unsere Szene. Zusammenhalt wird hier groß geschrieben.

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