Gesichter der Digitalisierung

Kieler Nachrichten

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Von der Lochkarte bis zum iPhone: Der digitale Wandel begleitet Schleswig-Holsteiner seit vielen Jahren. Aber wie kam es zu dieser Entwicklung und welche Bedeutung wird die Digitaliserung in Zukunft haben? In einem dreiteiligen Multimediadossier greifen wir unter anderem diese Fragen auf.

Teil 1: Als die Daten laufen lernten Hildegard Egge berichtet von ihrer Arbeit im Rechenzentrum

Wenn Hildegard Egge (68) von der Digitalisierung erzählt – so wie sie sie erlebt hat bei den Kieler Unternehmen Hell und MaK – dann zeigt sie Besuchern den Kartenstapel bei sich im Arbeitszimmer. Ideal als Notizblock. Oder als Daumenkino. Doch was Frau Egge in der Hand hält, war einmal Schlüsselmedium der elektronischen Datenverarbeitung, Grundnahrungsmittel für schrankwand-große Rechner von IBM oder Nixdorf.

Als die ersten Computer entwickelt wurden, boten sich Lochkarten an als Medium zur Programmeingabe und Datenspeicherung: einfach, schnell, zuverlässig. Mit Stanzmöglichkeiten in 80 Spalten und zwölf Zeilen hatte eine Lochkarte ein Datenfassungsvermögen von 80 Byte. Der Inhalt einer Million Lochkarten füllte damit eine 80-MB-Festplatte – eine in den 1970er-Jahren übliche Größenordnung auf Großrechnern. Heute? Ein Witz von Datenvolumen.

Und dann waren die Daten weg…

Wenn Preisänderungen am Nixdorf-Fakturierrechner eingepflegt werden mussten, ging das nur über den Zwischenschritt Lochkarte, sagt Hildegard Egge. Aber nicht zu viele auf einmal, sonst reichte der Zwischenspeicher nicht und die Daten waren weg. Das Rechenergebnis wurde auf Endlos-Papierbahnen gedruckt und zur Weiterverarbeitung an die zuständigen Abteilungen geschickt. Weiteres Speichermedium waren Magnetplatten, die aussahen wie Transportbehälter für Sahnetorten.

Gelernt hat Hildegard Egge Einzelhandelskauffrau: „Aber Technik hat mich schon immer fasziniert.“ Diese Begeisterung, gepaart mit gesundem Durchsetzungsvermögen, ebneten der Frau aus Panker (Kreis Plön) den Weg: Aus der Mitarbeiterin im „Bestellbüro“ des Druckmaschinenherstellers Hell wurde eine der ersten weiblichen Maschinenbediener in einem Rechenzentrum. Weil die auch Operator heißen, nannten die Herren Kollegen Frau Egge gerne Operateuse: „Aber das war nie böse gemeint.“

Eine Zeitreise zu den Anfängen

Wenn Hildegard Egge von ihrem Berufsweg erzählt, ist das eine Zeitreise, die Anfang der 70er-Jahre beginnt, und über der der Titel stehen könnte: „Als die Daten laufen lernten.“ Die Reise führt von der Karteikarte zur Erfassung von Lagervorräten oder Lohndaten über Lochkarten und Stanzgeräte bis zu Magnetplattenspeichern und Modems. Letztere ermöglichten Netzwerke und damit eine vollautomatische Datenverarbeitung. Bevor es sie gab, mussten Daten auf Bergen von Papier hin und her getragen werden.

Ergebnis-Listen füllten Kisten und Massen von Magnetbändern. Jede Entnahme von Lagervorräten, jede Änderung von Kundenstammdaten, jede Preisänderung musste manuell erfasst und eingegeben werden. Das Ergebnis jeder Buchung war eine Lochkarte, erzeugt von den „Locherinnen“ an laut ratternden Stanzgeräten. Mussten Teile bestellt werden, ging das anfangs auch nicht automatisch – jeder Vorgang musste per Hand ausgelöst werden. „Ohne den Menschen als Zuarbeiter konnten die Maschinen ihren Job nicht machen“, sagt Egge.

Den rasanten Fortschritt der EDV und schließlich das Ende der Lochkarte erlebte sie ab Ende der 70er-Jahre nach ihrem Wechsel zum Kieler Motoren-, Panzer- und Lokomotivenbauer Krupp MaK. Anfang der 80er-Jahre verschwand die Pappe, der Datentransfer erfolgte nur noch über Magnetbänder. Doch auch dann brauchten die Rechner klare Anweisungen, was sie wann und in welcher Reihenfolge zu rechnen hatten. Künstliche Intelligenz? Zukunftsmusik.

Digitalisierungsschub erleichterte die Arbeit

Nachdem der technische Fortschritt sich lange vor allem in Form immer größerer Kapazität der Speichermedien und immer höherer Rechengeschwindigkeit niederschlug, erlebte Hildegard Egge im Rechenzentrum von MaK einen Digitalisierungsschub, der ihre Arbeit erheblich erleichterte: Mitte der 80er-Jahre bekamen sie und ihre Kollegen einen Samsonite-Koffer mit nach Hause, in dem das steckte, was man schon Laptop nennen konnte.

Über eine eigens von der Post installierte Leitung konnte sie sich damit in das Rechenzentrum einloggen und am Schirm kontrollieren, ob die Maschinen ihre Jobs so rechneten, wie man es von Ihnen erwartete: Lohnabrechnungen machen, Bestellungen abwickeln, Vorratsdaten aktualisieren, Preisänderungen einpflegen. Wenn etwas hakte, dann ließ sich das in vielen Fällen von zu Hause bereinigen: „Nicht mehr gleich bei jeder Störung von Panker nach Kiel fahren müssen, das war eine große Erleichterung vor allem in der Wochenendbereitschaft.“ Doch durch die fortschreitende Digitalisierung brauchte man auch weniger Personal, und so fielen auch Arbeitsplätze im Rechenzentrum weg.

Deutlich einschneidender jedoch waren die Jobverluste in der Produktion: Computergestützte Werkzeugmaschinen und Lackieranlagen machten Menschen in ganzen Abteilungen nahezu überflüssig. Als gewerkschaftlich engagierter Mensch kämpfte Hildegard Egge für den Erhalt von Arbeitsplätzen: „Damals war für uns klar: Wenn die Maschinen menschliche Arbeit ersetzen, dann müssen auch eine Maschinensteuer und Arbeitszeitverkürzung her.“

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