Mit Videospielen werden Milliarden Euro weltweit erwirtschaftet. Auch in Schleswig-Holstein und Hamburg wächst eine Industrie heran: 4300 Mitarbeiter setzen 400 Millionen Euro um. Die Initiative IF(game)SH versucht Videospielemacher zu vernetzen – und ist selbst überrascht, wie viel Potenzial es im hohen Norden gibt.
Spielen zwischen den Meeren
Videospiele sind für viele Menschen ein Tor in eine andere Welt. Hinter dem Bildschirm oder Fernseher eröffnen sich blühende Landschaften mit ungeahnter Flora. Blumen mit kniehohen Blüten und faustgroße Bienen, die aus ihnen schweben. Tausende Glühwürmchen, die in Formationen fliegen und so dem Protagonisten Hinweise geben, wo es etwas zu entdecken gibt. Doch so schön die Landschaften sein können, so viel Angst können sie auch machen: Auf einem tropischen Inselparadies mit Kokosnüssen und feinem Sandstrand, einer Hütte auf Stelzen im azurblauen Ozean, kann es sein, dass man urplötzlich von Zombies angegriffen wird.
Videospiele können eigene Welten schaffen mit eigenen Göttern und Religionen, Staaten und Kontinente. Monster können bezwungen und bekämpft werden – oder gezähmt. Geschöpfe, die mehrere 100 Meter groß sind, hören plötzlich auf Zwölfjährige, weil sie die Auserwählten sind. Für viele junge Menschen ist es reizvoll, genau solche Welten zu erschaffen.
Wer solche Spiele entwickelt, zieht bisher nach Hamburg, Berlin, Köln oder München. Das sind die deutschen Hochburgen der Videospielekunst. Die Universitäten bieten Studiengänge an, die Bundesländer fördern die jungen StartUps mit Geldern. In Schleswig-Holstein ist da man da noch weit von entfernt. Spiele wie der Millionenerfolg „Tiny Wings“, ein Smartphonespiel von Andreas Illiger aus Kiel, das mehrere Millionen Mal heruntergeladen wurde, sind eine absolute Ausnahme.
Julia Seifert möchte das ändern. Sie hat zusammen mit drei anderen Interessierten IF(game)SH im Januar 2018 gegründet, die Initiative zur Förderung von Videospielen in Schleswig-Holstein. Bisher geht es vor allem darum, Präsenz zu zeigen und den Entwicklern und Spielern ein Netzwerk zu bieten. „Die Entwickler wandern nach Hamburg ab, das wollen wir verhindern“, sagt die 26-Jährige. Mit der Gründung des Netzwerkes möchte sie eine Lobby für Entwickler in Schleswig-Holstein sein. Konkrete Ideen, wie eine Vereinsgründung, gibt es noch nicht. Sie hofft, dass die Szene in Schleswig-Holstein selbstständiger wird und sich stärker organisiert.
Seit Dezember 2017 gibt es einmal im Monat einen Indiegame-Stammtisch in der Kieler Starterkitchen. Indiegames sind Videospiele, die ohne Unterstützung großer Videospielfirmen entwickelt werden. „Wir sind jedes Mal überrascht, wie viele Entwickler wir hier haben“, sagt Julia Seifert. „Wir fragen uns immer: Wo waren die Leute vorher?“ Die 20 bis 30 Teilnehmer kommen dabei nicht nur aus Kiel – auch Flensburger und Schleswiger sind vertreten. „Der Markt ist hier, aber wird nicht gehalten. Die Entwickler wandern in andere Bundesländer ab, die Förderungen bieten“, erklärt Seifert die Problematik. Andere Bundesländer fördern Videospielentwicklung, Schleswig-Holstein tut das nicht. Die Nordmedia, eine gemeinsame Medienförderungsgesellschaft von Niedersachsen und Bremen, investiert jährlich 121.000 Euro in Projekte. In Bayern sind es sogar 1,9 Millionen Euro.
eSports als politischer AuftragVideospiele als „richtiger“ Sport? In Asien ist das schon längst Realität, dort werden bei Turnieren und Events Hallen und Stadien gefüllt, wie man es hierzulande vor allem vom Fußball kennt. Nach den Richtlinien des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) fehlt dem E-Sport eine „eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität“. Beim Schach kann man diese Aktivität zwar auch nicht bestimmen, aber trotzdem ist Schach eine anerkannte Sportart. Bei diversen Computerspielen haben die Spieler bis zu 300 Tastenanschläge pro Minute. Das könnte man als „sportartbestimmende motorische Aktivität“ werten.
In den Holstenhallen in Neumünster findet regelmäßig Deutschlands größte Lan-Party NorthCon (Northern LAN Convention) statt – ein Treffen, bei dem Spieler mit ihren Computern oder Konsolen anreisen und mit oder gegeneinander spielen. Karten für die viertägige Veranstaltung kosten rund 70 Euro. Seit 2004 existiert das Event, von 2013 bis 2016 hat die NorthCon pausiert, seitdem findet sie mit über 1000 Spielern wieder jährlich statt. Das besondere bei diesem Event ist, dass die Teilnehmer nicht nur tagsüber zusammen spielen, sondern auch gemeinsam in den Holstenhallen übernachten. Bei den Videospielturnieren geht es nicht nur um die Ehre: Sponsoren stellen bei den vier Hauptturnieren Sach- und Geldpreise zur Verfügung. Im Dezember 2017 war die „NorthCon“ nahezu ausverkauft, auch für 2018 gibt es schon Überlegungen, aber noch keinen genauen Termin.
Bei so einer großen, deutschlandweiten Beachtung ist es kein Wunder, dass Schleswig-Holstein bei der politischen Wahrnehmung von eSports in Deutschland eine Vorreiter-Rolle einnimmt. Im Jamaika-Koalitionsvertrag steht dazu: