Noch bis Sonntag haben die Parteien in Schleswig-Holstein Zeit, die Wähler von ihrem jeweiligen Programm zu überzeugen. Doch wie sieht der Teil des Wahlkampfes aus, der abseits von TV-, Radio- oder Zeitungsformaten abläuft? Und wie unterscheidet sich der Tag eines Ministerpräsidenten von dem eines Spitzenkandidaten, der mit der Fünf-Prozent-Hürde kämpft? Wir haben sieben Kandidaten einen Tag lang begleitet.
Raus aus den Federn Die ersten Stunden am Tag
Torsten Albig, 53 (SPD)
06:00 Kurz nach sechs klingelt der Wecker des amtierenden Ministerpräsidenten. Am Wochenende darf es auch mal später sein. Dreimal pro Woche steht Frühsport auf dem Programm. Albig hält sich mit Kraftsport fit. Sein Frühstück: Je nach Laune gibt es Müsli oder Vollkornbrot mit Marmelade, dazu eine Tasse Darjeeling-Tee.
Daniel Günther, 43 (CDU)
06:00 Kieler Nachrichten und Eckernförder Zeitung gehören für Daniel Günther zur Morgenlektüre: „Damit ich morgens gleich informiert bin.“ Berichte, in denen der CDU-Spitzenkandidat auch mal schlechter dasteht, regen ihn nicht auf. Er bezeichnet sich als „nicht beleidigungsfähig“. Heute muss der gewohnte Lauf durch die Eckernförder Landschaft ausfallen. Er hat sich „Halsschmerzen aufgesackt“. Im Wahlkampf bleibt keine Zeit für eine kratzige Stimme. Insbesondere nicht, wenn man – wie Günther es vorhat – Torsten Albig den Rang als Ministerpräsident ablaufen will. Mit Salbeibonbons im Gepäck geht es deshalb um kurz nach acht Uhr los in Richtung Landeshaus. Günther wird von seinem Fahrer abgeholt.
Monika Heinold, 58 (Grüne)
06:30 Monika Heinold steht auf. Als erstes geht sie in die Küche und macht sich wie jeden Morgen einen lauwarmen Zitronensaft. „Ich habe mal in der Zeitung gelesen, dass das auf nüchternen Magen sehr gesund sein soll. Also presse ich jeden Morgen eine Bio-Zitrone in ein großes Glas lauwarmes Wasser.“ Dann holt sie sich ihre Zeitung aus dem Briefkasten.
07:00 Wenn sie ihre Zeitung gelesen, ihren Saft getrunken hat, geht es ins Wohnzimmer, Trampolin springen. Richtig, Monika Heinold springt jeden Morgen Trampolin. In ihrem Wohnzimmer. Sie sei keine begeisterte Sportlerin, als Finanzministerin habe sie auch nicht sehr viel Zeit für Sportkurse. Wie sie springt? „Ich springe einfach. Keine besonderen Bewegungen. Ich reiße meine Terrassentüren auf und springe zu vier Liedern der Neuen Deutschen Welle.“
07:30 Zum Frühstück gibt’s heute ein Brötchen mit Käse und Ei.
08:00 In der Regel fährt Monika Heinold mit dem Fahrrad zur Arbeit. „Dann nehme ich mir zehn Minuten Zeit, die Presse durchzugehen und trinke eine Tasse Kaffe. Danach habe ich mit meinen Staatssekretären und Pressesprechern eine Lagebesprechung. Wie gehen durch den Tag und besprechen, wann ich wo sein muss. Tja und dann beginnen im Stundenrhythmus die Termine.“ Wenn sie bereits morgens einen Termin hat, holt der Dienstwagen sie ab. „Da die HSH Nordbank in meine Ressortverantwortlichkeit fällt, fahre ich regelmäßig nach Hamburg.“
Wolfgang Kubicki, 65 (FDP)
07:00 Oder auch 30 Minuten später steht Wolfgang Kubicki in Strande auf. Auf den Frühsport verzichtet er („Mir ist ein Haar ausgefallen, ich muss auf meine Gesundheit achten“ ist dabei seine Standardentschuldigung). Beim Frühstück folgt die Presseschau. Die Auswertung der Tagespresse haben bis dahin schon Mitarbeiter für ihn erledigt. Die Welt und die Süddeutsche gehören zu seinen Lieblingszeitungen, mit denen er die verschiedenen politischen Richtungen abdeckt.
Das Frühstück an sich ist ein komplexes Thema bei dem FDP-Spitzenkandidaten. Zu Hause frühstückt er nur süß, zum Johannisbeermarmeladenbrötchen gibt es Milchkaffee. Am Sonntag hingegen bleibt der Kaffee schwarz. Ganz anders jedoch sieht es aus, wenn er unterwegs isst. „Unterwegs frühstücke ich deftig, weil da nicht ganz klar ist, ob ich noch etwas zum Mittag bekomme“, erklärt Kubicki. Also isst er morgens für mittags vor.
Marianne Kolter, 62 (Die Linke)
06:00 Im Reihenhaus von Marianne Kolter in Pinneberg klingelt kein Wecker. Die Spitzenkandidatin der Linken wacht „immer fünf Minuten vor der Zeit, die ich mir vorgenommen habe,“ auf. Das Frühstück gibt es in zwei Varianten: Müsli, „wenn’s schnell gehen muss“. Und wenn nicht? „Dann gibt es Brötchen vom Bäcker und ausgiebige Zeitungslektüre – das dauert dann aber auch drei Stunden.“
08:00 Ab an den Schreibtisch. „Ich kann morgens am besten arbeiten“, sagt Kolter, die als Ehrenamtlerin von zu Hause arbeitet. Am Laptop klickt sie sich durch die Medienberichte, schreibt Stellungnahmen, plant den Tag. Wichtig dafür ist die Facebook-Gruppe der Partei. Und natürlich das Handy. „Bis vor einem Jahr hatte ich immer nur ein Drei-Monats-Handy rund um die Aktion in Brokdorf am Tschernobyl-Gedenktag“, erzählt die Erfinderin der Mahnwachen am Atomkraftwerk. Doch seit sie Landessprecherin der Linken ist, ist ihr Smartphone ihr ständiger Begleiter.
09:00 Erste Mails aus der Landesgeschäftsstelle ploppen auf. Der Tagesplan nimmt Form an. Es soll erst nach Elmshorn ins Parteibüro, dann nach Schwarzenbek zu Wahlkämpfern gehen, die dort einen mobilen Infostand aufbauen. Für den Abend hat sich prominenter Besuch in Elmshorn angekündigt: Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Partei, will mit den Linken vor Ort über die „Gerechtigkeitswende“ und die Landtagswahl in Schleswig-Holstein sprechen.
Lars Harms, 52 (SSW)
06:30 Für Lars Harms beginnt der Tag im heimischen Husum. Zum Frühstück kommt Brot auf den Tisch, etwas Margarine, Ziegenkäse und Wurst in Aspik – „Da steh ich total drauf.“ Ganz wichtig zur frühen Stunde: „Eine heiße Tasse Kaffee, schwarz wie die Nacht, gerne auch zwei oder drei davon, damit sich die Augen überhaupt öffnen.“
Patrick Breyer, 40 (Piraten)
06:00 Jetzt, spätestens aber in 10 Minuten, klingelt der Wecker von Patrick Breyer. Nicht nur im Wahlkampf, auch sonst. Der Spitzenkandidat der Piraten ist ein Morgenmensch, dann arbeitet er am besten, sagt er. Frühsport? „Nee, das nicht…“ Zum Frühstück gibt es schnell ein Müsli, dann legt Breyer auch schon los, kümmert sich erst mal um Informationen – und um die sozialen Netzwerke: Seine Partei nutzt Facebook, Twitter, die Fraktion auch Instagram.
08.07 Patrick Breyer setzt seinen ersten Tweet ab.
Termine, Termine, Termine... Der Vormittag
Torsten Albig
07:30 Der Dienstwagen wartet vor der Haustür. Der Ministerpräsident wird morgens von seinem Fahrer abgeholt. Einfach mal mit dem Fahrrad oder zu Fuß zur Arbeit ist für ihn undenkbar – Sicherheitsbestimmungen müssen eingehalten werden. Sobald Albig das Haus verlässt, ist er – bis auf wenige Ausnahmen – von Personenschützern umgeben. Manchmal, sagt er, würde er den kurzen Weg zur Staatskanzlei schon gerne mit dem Rad zurücklegen, doch „da müsste dann jemand mit dem Auto hinter mir herfahren – das fände die Polizei nicht so lustig.“ In der Staatskanzlei geht es zwischen 8 und 9 Uhr los.
10:00 Am Kaffeestand von Philine Busche, einem alten Renault Estafette auf dem Blücherplatz, sollte Albigs Wahlkampftag beginnen. Der heutige Barista-Praktikant Torsten Albig lässt rund 20 Minuten auf sich warten, duckt sich aber doch noch in den Kaffeewagen und übernimmt für anderthalb Stunden den Verkauf von Backwaren und Heißgetränken. Nicht alle Kunden sind von der Aktion begeistert: „Der Albig soll nicht Kaffee saufen, sondern regieren“, wettert eine Frau, die beim Ministerpräsidenten offenkundig nichts kaufen möchte und nach der Chefin verlangt. Dann kommt Albigs Lebensgefährtin Bärbel Boy. Als sie Birnentarte und Plätzchen kauft, verrechnet sich Albig beim Kassieren.
Trotz Medienrummels nutzen einige Kunden die Gelegenheit, neben ihrer Bestellung auch politische Anliegen beim Spitzenkandidaten der SPD loszuwerden, „mehr Kitaplätze“ oder „weniger Zeitarbeit“ zum Beispiel. Chefin Philine wünscht sich für die Zukunft ebenfalls etwas von ihm, bevor es um 12 Uhr weitergeht zum nächsten Termin: „mehr Unterstützung für Selbstständige und mehr Fahrradwege“.
Daniel Günther
08:45 Auch im Wahlkampf ist die interne Absprache in der Fraktion für Günther wichtig. Im Moment bleibt dafür einmal in der Woche Zeit. Deshalb treffen sich die Referenten der Fraktion für zwei Stunden, um Themen abzusprechen.
11:10 Der schwarze Audi mit Fahrer steht schon vor dem Landeshaus bereit: Preetz, Schenefeld, Friedrichskoog und Brunsbüttel – Für Daniel Günther und sein Team geht es heute von Ost nach West. „So geht es im Moment eigentlich jeden Tag einmal quer durch das Land“, sagt Günther, der von all dem Trubel anscheinend nicht aus der Ruhe gebracht wird: „Es geht nicht anders. Schleswig-Holstein ist ein großes Land und die Verkehrsverbindungen sind nicht optimal.“ Tage mit 12 Stunden und mehr sind im Moment normal. Die „heiße Phase“ im Wahlkampf läuft seit März. Sein Geheimrezept: „Der sportliche Ausgleich hilft, solche Tage auch durchzustehen.“
11:15 „Wo geht es jetzt als erstes hin?“, Günthers Blick geht nach vorne zu Referentin Jana Behrens, die gerade auf den Beifahrersitz des Audi gestiegen ist. Der bis zum Bersten gefüllte Ordner mit Akten landet im Fußraum neben Günther. Im Auto gibt es das erste von vielen kurzen Briefings.
12:00 Im Nieselregen geht es über den Parkplatz der Preetzer Werkstätten, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Dort herrscht schon helle Aufregung.
Nicht jeden Tag bekommen die Mitarbeiter so viel Besuch wie heute. Doch in der Einrichtung wird nicht nur gearbeitet. Beim Thema Sport wird Günther hellhörig: „Was machen sie denn?“. „Na, alles, was sie können und woran sie Spaß haben“, erwidert Parteikollege Peter Sönnichsen.
Monika Heinold
08:25 Der erste Termin führt sie heute nach Ascheffel, Kreis Rendsburg-Eckernförde, zum Biohof Saelde. Das Auto fährt ein Parteimitglied, es regnet unablässig. „Wat’n Schietwetter heute“, murmelt Heinold in ihr Notebook, während sie Mails durchgeht.
08:55 „Wir sind in erkennbar ländlichem Bereich.“ Monika Heinold schaut aus dem Fenster. Während ihr Mitarbeiter die eine oder andere falsche Abbiegung nimmt, schminkt sich Heinold. Ein bisschen Lippenstift, ganz klein wenig Puder. „Claudia, haben wir meine Regenstiefel im Kofferraum?“, fragt sie ihre Sprecherin. Ja, hat sie. Sie hat auch einen zweiten dickeren Pullover, ein Stirnband und einen schicken Blazer im Kofferraum. Geheimnis einer viel beschäftigten Frau: Trage deinen halben Kleiderschrank bei Dir, so bist Du für jeden Fall gerüstet.
09:00 Heinold möchte alles vom Biohof sehen. Es sieht ein wenig lustig aus, wie sie mit ihren 1,62 Metern in Gummistiefeln durch die Felder stapft. „Ich komme selbst vom Land, bin eine echte Schleswig-Holsteinerin“, sagt sie.
09:45 Der erste Kaffee mit den Betreibern des Hofs. Seit 1987 wird der Hof von der Lebensgemeinschaft Hof Saelde bewirtschaftet, eine vollstationäre Integrationseinrichtung für erwachsene Menschen mit geistigen Behinderungen.
10:10 Fernsehjournalisten wollen O-Töne von Heinold. „Wenn es um die Politik der Grünen geht, muss das Interview auch im Grünen stattfinden“, sagt ein Redakteur. Also stellt sich Heinold in den Regen und gibt Videointerviews. Im Hintergrund Kühe. „Bio muss bezahlbar sein“, sagt sie in die Kamera.
10:45 Heinold liest sich in die Themen des nächsten Termins ein. Wenn sie nicht liest, telefoniert sie. Sie erreicht die Nachricht, dass Sylt jetzt auch plakatiert wird. Das Monika-Mobil ist auf dem Weg in den „MarktTreff“ zu einem Treffen mit Vertretern des Amts Hüttener Berge. Sie legt Lippenstift nach und einen Hauch Rouge auf.
11:24 Eine Powerpoint-Folie mit dem Titel: „Erwartungen des Amts Hüttener Berge an Monika Heinold“: Die Spitzenkandiatin der Grünen trinkt ihre zweite Tasse Kaffee. Auf der nächsten Folie ist eine Excel-Tabelle mit Überschriften wie „Finanzausgleich alt/neu“ und „Umlagegrundlagesimulation“ zu sehen. Heinold richtet sich auf. Zahlen sind ihr Ding („Ich liebe Zahlen, sie sind so schön konkret.“). Bevor sie Finanzministerin wurde, war sie 16 Jahre finanzpolitische Sprecherin und ja, in der Schule war Mathe ihr Lieblingsfach.